Margaret Mitchell
dazu, das lange unterdrückte, aber nie völlig ertötete, das
nach Beichte und Sühne verlangende katholische Gewissen. »Bekenne deine Sünden
und tue Buße dafür in Reue und Zerknirschung«, hatte Ellen ihr hundertmal
gesagt, und an diesem Wendepunkt ihres Lebens bekam Ellens Erziehung wieder
Gewalt über sie. Alles wollte sie bekennen, jeden Blick, jedes Wort, jede
kleinste Zärtlichkeit, dann linderte Gott ihren Schmerz und gab ihr Frieden.
Ihre Buße würde dann der schreckliche Anblick sein, wie in Melanies Gesicht
sich das Vertrauen und die Liebe in ungläubiges Entsetzen, in Abscheu
verwandelte. Ach nein, dachte sie in ihrer Not, mein Leben lang Melanies
Gesicht vor mir sehen in der Gewißheit, daß sie um all meine Niedrigkeit,
Treulosigkeit, Falschheit und Heuchelei weiß ... nein, die Buße ist
allzuschwer.
Früher
hatte sie sich wohl an der Vorstellung berauscht, wie sie Melanie die Wahrheit
höhnisch ins Gesicht schleudern und dabei ihr törichtes Paradies
zusammenstürzen sehen wollte, und sie hatte gemeint, die Schadenfreude könne
alles, was sie dabei verlöre, aufwiegen. Aber nun hatte sich über Nacht alles
verändert, und sie wünschte sich nichts weniger als das. Woher das kam, wußte
sie nicht In ihrem Kopf war der Tumult widerstreitender Vorstellungen so groß,
daß sie sie unmöglich ordnen konnte. Sie wußte nur, daß sie leidenschaftlich
danach trachtete, sich Melanies gute Meinung zu erhalten, wie sie einst danach
gestrebt hatte, vor ihrer Mutter sittsam, gütig und mit reinem Herzen
dazustehen. Sie wußte nur, daß sie nicht danach fragte, was die Welt, was
Ashley und Rhett von ihr dachten - aber Melanie durfte nicht anders von ihr
denken als bisher.
Ihr graute
davor, Melanie die Wahrheit zu sagen, aber einer ihrer seltenen Anfälle von
Ehrlichkeit zwang sie dazu. Deshalb war sie an dem Morgen, nachdem Rhett und
Bonnie das Haus verlassen hatten, sofort zu ihr gegangen.
Aber nach
ihren ersten, rasch hervorgesprudelten Worten hatte Melanie sie gebieterisch
zum Schweigen verwiesen. Scarlett stand schamrot vor den dunkeln Augen, die vor
Liebe und Zorn blitzten, und erkannte schweren Herzens, daß der Friede und die
Ruhe nach einer Beichte ihr nie beschieden sein würden. Melanie hatte mit ihren
ersten Worten ihr diesen Weg für immer abgeschnitten, und eins der wenigen
reifen Gefühle, die sich je in ihr regten, führte sie zu der Erkenntnis, daß es
reine Selbstsucht wäre, ihr gefoltertes Herz zu erleichtern. Damit hätte sie
ihre Last dem Herzen eines unschuldigen, vertrauensvollen Menschen aufgebürdet.
Dafür, daß Melanie für sie eingetreten war, stand sie nun in ihrer Schuld, und
diese Schuld war nur durch Schweigen abzuzahlen. Das wäre in der Tat ein grausamer
Lohn, wenn sie Melanies Lebensglück mit der schrecklichen Eröffnung zerstörte,
daß ihr Mann ihr mit ihrer geliebten Freundin die Treue brach!
»Ich kann
es ihr nicht sagen«, dachte sie trostlos, »und wenn mein Gewissen mich dafür
langsam tötet.« Rhetts Bemerkung kam ihr wieder in den Sinn: »Von keinem, den
sie liebt, kann sie etwas Unehrenhaftes glauben ... Das Kreuz magst du nun auf
dich nehmen.«
Ja, dieses
Kreuz mußte sie nun bis zu ihrem Tode tragen. Schweigend mußte sie diese Qual
in ihrem Innern erdulden, bei jeder liebevollen Bewegung Melanies mußte sie den
Schrei unterdrücken: »Ich bin es nicht wert!«
»Wäre sie
nur nicht so dumm, nur nicht ein so liebes, vertrauensvolles, einfältiges Ding,
es wäre nicht halb so schwer.« Diese Last war wohl von allen, die sie
geschleppt hatte, die schwerste und härteste,
Melanie
saß ihr gegenüber auf einem niedrigen Stuhl, die Füße fest auf einer Ottomane,
die Knie emporgezogen wie ein kauerndes Kind, eine Stellung, die sie nie
eingenommen hätte, hätte nicht ihr Zorn sie alle Schicklichkeit vergessen
lassen. Sie war mit einer Handarbeit beschäftigt und fuhr mit der Nadel so
gewaltsam hin und her, als gebrauchte sie ein Rapier im Duell.
In solchem
Zorn hätte Scarlett mit beiden Füßen gestampft und dazu gebrüllt wie Gerald in
seinen besten Tagen, hätte für all die Falschheit und Niedertracht der Menschen
Gott zum Zeugen angerufen und mit Racheschwüren gedroht, daß einem das Blut in
den Adern erstarrte. Melanies inneren Aufruhr aber zeigten nur die blitzende
Nadel und die zusammengezogenen, zarten Augenbrauen an. Ihr Ton war kühl, ihre
Worte kamen bestimmter hervor als sonst; aber die Scheltworte, die sie sprach,
waren ihr wesensfremd,
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