Margaret Mitchell
Mauerschwalben flitzten
über den Hof, Küken, Enten und Truthühner kamen einzeln und zuhauf vom Feld
stolziert und gewatschelt.
»Jeems!«
klang Stuarts Ruf. Nach einer Pause kam ein langer schwarzer Junge etwa ihres
Alters atemlos ums Haus herumgelaufen und rannte weiter zu den angebundenen
Pferden. Jeems war ihr Leibsklave und wie die Hunde auf Schritt und Tritt in
ihrer Nähe. Als Kind hatte er mit ihnen gespielt, und zu ihrem zehnten
Geburtstag bekamen sie ihn als Eigentum geschenkt. Die Hunde der Tarletons
sprangen aus dem roten Staub auf und warteten ungeduldig auf ihre Herren. Die
Zwillinge verbeugten sich, gaben Scarlett die Hand und versprachen, morgen
rechtzeitig drüben bei Wilkes auf sie zu warten. Dann stiegen sie zu Pferde und
galoppierten die Zedernallee hinunter. Sie winkten mit den Hüten und grüßten
rufend zurück. Jeems folgte ihnen.
Als sie
auf der staubigen Straße um die Ecke waren, wo man sie von Tara aus nicht mehr
sehen konnte, hielt Brent sein Pferd an. Auch Stuart brachte seines zum Stehen,
und der Negerjunge hielt ein paar Schritt hinter ihnen. Sobald die Zügel sich
lockerten, senkten die Pferde die Hälse, um im zarten Frühlingskraut zu grasen.
Die geduldigen Hunde legten sich wieder in den weichen Staub und blickten verlangend
nach den Schwalben, die durch die sinkende Dämmerung strichen. Brems breites
offenes Gesicht war verwirrt und gelinde entrüstet.
»Du«,
sagte er, »kam es dir nicht auch so vor, als hätte sie uns zum Abendessen
einladen wollen?«
»Mir
schien, sie hatte es vor«, antwortete Stuart. »Ich habe immer darauf gewartet,
aber sie tat es nicht. Verstehst du das?«
»Nein, und
ich meine, sie hätte es ruhig tun sollen. Schließlich ist es unser erster Tag,
und sie hat uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Wir haben ihr doch noch so viel zu
erzählen.«
»Mir
schien, sie freute sich mächtig, als wir kamen.«
»Mir
auch.«
»Und dann
wurde sie plötzlich still, als ob sie Kopfweh hätte!«
»Ich habe
es auch gemerkt, aber nicht weiter darauf geachtet. Was mag ihr gefehlt haben?«
»Ob wir
etwas gesagt haben, was sie geärgert hat?« Beide dachten scharf nach.
»Mir fällt
nichts ein. Wenn Scarlett wütend ist, merkt man es immer sofort. Sie hält nicht
an sich wie andere Mädchen.«
»Stimmt,
das mag ich gern an ihr. Sie geht nicht mit verbissenem Gesicht umher, wenn sie
wütend ist, sondern sagt, was los ist; aber irgend etwas müssen wir gesagt oder
getan haben, was ihr in die Quere kam. Ich könnte schwören, daß sie eigentlich
vorhatte, uns zum Abendessen dazubehalten.«
»Es kann
doch wohl nicht deswegen sein, weil wir rausgeworfen worden sind?«
»Zum
Teufel, sei nicht so dumm, sie hat sich doch ausgeschüttet vor Lachen, als wir
davon erzählten, und außerdem gibt sie auf Bücher und Lernen nicht mehr als
wir.«
Brent
wandte sich im Sattel um und rief den Negerjungen: »Jeems!«
»Master?«
»Hast du
gehört, was wir mit Miß Scarlett sprachen?«
»Nein,
nicht, Master Brent! Wie ich dazu kommen, bei Herrschaften spionieren!«
»Mein
Gott, spionieren! Ihr Schwarzen wißt doch über alles Bescheid, was vorgeht. Ich
habe mit eigenen Augen gesehen, du Schuft, wie du dich um die Ecke geschlängelt
und an der Mauer im Jasmingebüsch gesessen hast. Nun also, hast du irgend etwas
gehört, was Miß Scarlett hätte wütend machen können?«
Als Jeems
sich überführt sah, leugnete er nicht mehr und runzelte seine schwarze Stirn.
»Nein, ich
gewiß nichts gehört, was sie wütend machen. Mir kam vor, sie freute sich,
Masters zu sehen, und hatte Sie vermißt und zwitscherte lustig wie ein
Vögelchen immer und immer, bis wo Masters auf Mr. Ashley und Miß Melly Hamilton
kamen und daß sie sich heiraten wollten. Da sein Miß Scarlett auf einmal still
wie Vogel, wenn oben der Habicht fliegt.«
Die
Zwillinge sahen einander an und nickten, begriffen aber nichts.
»Jeems hat
recht, aber das verstehe ich nicht«, sagte Stuart. »Mein Gott, Ashley ist ihr
doch nicht mehr als ein Freund, in ihn verliebt ist sie nicht. Verliebt ist sie
in uns.«
Brent
nickte eifrig zustimmend.
»Aber
vielleicht«, sagte er, »hat Ashley ihr nichts davon erzählt, und nun ist sie
wütend, weil sie es nicht eher erfahren sollte als die anderen Leute. Mädchen
nehmen es immer krumm, wenn sie etwas nicht zuerst erfahren.«
»Mag sein,
aber was ist denn dabei, es sollte doch eine Überraschung sein, und man hat
doch wohl das Recht, seine eigene Verlobung
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