Margaret Mitchell
wohin Onkel Peter zeigte, und neigte den Kopf. Die beiden Damen
hielten in ihrer Equipage vor einem Laden. Der Besitzer und zwei Verkäufer
standen mit einem Stoffballen beladen auf dem Fußsteig, wo sie die Ware gerade
gezeigt hatten. Mrs. Merriwether war eine große, sehr stattliche Frau, die so fest
geschnürt war, daß der Busen wie der Bug eines Schiffes vorsprang. Vor der
Fülle ihres eisengrauen Haares prangten in stolzem Braun, in die Stirn
hineingekämmt, einige falsche Löckchen, die es durchaus verschmähten, sich dem
übrigen Haar anzupassen. In ihrem runden, hochroten Gesicht vereinigten sich
gescheite Gutmütigkeit und Gewohnheit zu befehlen. Mrs. Elsing war jünger, eine
zarte, schlanke Frau, die früher einmal schön gewesen war und der noch immer
etwas von verwelkter Frische, etwas vornehm Königliches anhing.
Diese
beiden Damen waren mitsamt einer dritten, Mrs. Whiting, die Säulen von Atlanta.
Sie hatten die Führung in den drei Kirchen, denen sie angehörten, und hielten
die Geistlichkeit, die Chöre und die ganze Gemeinde in Atem. Sie veranstalteten
Basare und regierten Nähzirkel. Unter ihrem Schütze fanden Bälle und Picknicks
statt Sie wußten, wer eine gute Partie machte und wer nicht, wer heimlich trank
und wer ein Kind erwartete. Sie waren die maßgebenden Sachkenner für den
Stammbaum eines jeden, der in Georgia, Südcarolina und Virginia jemand war.
Über die anderen Staaten zerbrachen sie sich nicht weiter den Kopf. Nach ihrer
Ansicht stammte überhaupt niemand, der jemand war, aus einem anderen Staat als
diesen dreien. Sie wußten, was sich schickte und was nicht, und hielten mit
ihrer Meinung darüber niemals zurück. Mrs. Merriwether äußerte sich, so laut
sie konnte, Mrs. Elsing in vornehm ersterbendem Gesäusele und Mrs. Whiting in
einem wehleidigen Flüsterton, der zu erkennen gab, wie ungern sie über derlei
sprach. Die drei Damen mißtrauten einander aus Herzensgrund und konnten
einander ebensowenig leiden wie die Männer des ersten Triumvirats in Rom; und
wahrscheinlich hatten sie sich aus ähnlichen Gründen wie jene so eng verbündet.
»Ich habe
schon Miß Pitty gesagt, Sie müssen in mein Lazarett kommen«, rief Mrs.
Merriwether lächelnd. »Daß Sie mir nicht etwa Mrs. Meade und Mrs. Whiting
Zusagen machen!«
»O nein!«
Scarlett hatte keine Ahnung, wovon Mrs. Merriwether sprach, aber das Gefühl,
willkommen zu sein und gebraucht zu werden, erwärmte sie. »Ich hoffe, Sie bald
wiederzusehen.«
Der Wagen
pflügte sich weiter durch den Morast und hielt einen Augenblick, damit zwei
Damen mit Körben voll Verbandzeug über dem Arm sich auf Schrittsteinen einen
halsbrecherischen Weg über die Straße suchen konnten. Da fiel Scarletts Blick
auf eine Gestalt, die für die Straße zu bunt gekleidet war, mit einem
schottischen Schal, dessen Fransen ihr bis auf die Absätze herabhingen. Es war
eine große, hübsche Frau, mit einem kecken Gesicht und üppigem rotem Haar, zu
rot, um echt zu sein. Zum erstenmal sah Scarlett eine Frau, die ohne Zweifel
>etwas mit ihrem Haar aufgestellt hatte<, und konnte den Blick nicht von
ihr abwenden.
»Wer ist das, Onkel Peter?«
»Weiß nicht.«
»Natürlich weißt du es, ich sehe
es dir an. Wer ist das?«
»Sie heißt
Belle Watling.« Onkel Peters Unterlippe schob sich langsam mißbilligend vor. Es
entging Scarlett nicht, daß er weder »Miß« noch »Mrs.« gesagt hatte.
»Wer ist das denn?«
»Gnädige
Miß Scarlett«, sagte Peter geheimnisvoll, »Miß Pitty liebt es nicht, daß Sie
nach etwas fragen, das Sie nichts angeht. Es gibt hier in der Stadt ein Pack
von Leuten, die nicht mitzählen, und über die zu reden, hat überhaupt keinen
Zweck.«
Scarlett
schwieg auf seinen Verweis. »Das muß bestimmt ein schlechtes Frauenzimmer
sein!«
Noch nie
zuvor hatte sie ein schlechtes Frauenzimmer gesehen. Sie drehte sich um und
starrte der Frau nach, bis sie sich in der Menge verlor.
Endlich
hatten sie die Geschäftsgegend hinter sich, die Wohnhäuser kamen in Sicht.
Einzelne davon begrüßte Scarlett als alte Freunde, das würdige, stattliche
Leydensche Haus, das Bonnellsche Haus mit den kleinen weißen Säulen und den
grünen Fensterläden, das unnahbare Barockhaus aus rotem Backstein hinter
niedrigen Hecken, das der Familie McLure gehörte. Sie kamen immer langsamer
vorwärts. Aus den Haustüren, aus Gärten und vom Fußweg aus wurden sie von Damen
angerufen. Einige kannte sie flüchtig, an andere hatte sie eine unbestimmte
Erinnerung,
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