Margaret Mitchell
die
Kissen zurück und lächelte. Sie fühlte sich glücklicher als seit Monaten.
Atlantas Lebendigkeit munterte sie auf.
Wieviel
schöner war es hier als auf der einsamen Plantage vor den Toren von Charleston,
wo die Alligatoren durch die stillen Nächte bellten! Schöner als in Charleston
selbst, das in seinen Gärten hinter hohen Mauern träumte. Schöner als in
Savannah mit seinen breiten Palmenstraßen und mit seinem schlammigen Fluß.
Vielleicht schöner sogar als Tara, mochte sie Tara auch noch so liebhaben.
Diese Stadt mit ihren engen und schmutzigen Straßen mitten im welligen
Hügelland hatte etwas Erregendes, Rohes und Ungeschliffenes, verwandt jenem
Rohen unter der feinen Politur, mit der Ellen und Mammy Scarlett versehen
hatten. Plötzlich hatte sie das Gefühl, hierher gehöre sie und nicht in die
ruhigen, abgeklärten alten Städte, die flach an den gelben Flüssen lagen.
Die
Zwischenräume zwischen den Häusern wurden immer größer, und als Scarlett sich
aus dem Wagen lehnte, sah sie Miß Pittypats rotes Backsteinhaus mit seinem
Schieferdach auftauchen. Es war fast das letzte Haus im Norden der Stadt.
Weiterhin wurde die Pfirsichstraße schmäler und verlor sich in die stillen
dichten Wälder hinein. Der saubere weiße Lattenzaun war frisch gestrichen. In
dem Vorgarten, den er einschloß, blühten die letzten Narzissen des Jahres. Auf
der Haustreppe standen zwei Frauen in Schwarz, hinter ihnen eine große braune
Frau mit den Händen unter der Schürze und einem breiten Lächeln, das die weißen
Zähne entblößte. Die rundliche Miß Pittypat wippte aufgeregt auf ihren winzigen
Füßen. Die eine Hand hielt sie an den vollen Busen gepreßt, um ihr klopfendes
Herz zu beruhigen. Neben ihr stand Melanie. In Scarlett regte sich der
Widerwille, und ihr wurde klar, daß diese feine kleine Person im schwarzen
Trauerkleid mit den fraulich geglätteten, widerspenstigen Locken und dem
herzförmigen Gesicht, das jetzt ein liebevolles glückliches Willkommenlächeln
erhellte, in Atlanta das Haar in der Suppe für sie sein würde.
Wenn
jemand aus den Südstaaten einmal seinen Koffer packte und zwanzig Meilen auf
Besuch reiste, so dauerte ein solcher Besuch selten kürzer als einen Monat,
meist aber länger. Die Leute waren ebenso begeistert Gast wie Gastgeber, und es
war nichts Ungewöhnliches, daß Verwandte zu den Weihnachtsferien kamen und bis
in den Juli hinein blieben. Junge Paare, die auf der Hochzeitsreise ihre
übliche Besuchsrunde machten, blieben oft, wenn es ihnen irgendwo gefiel, bis
zur Geburt des zweiten Kindes. Häufig kamen ältere Tanten und Onkel am Sonntag
zum Mittagessen und blieben, bis sie Jahre später begraben wurden. Ein Gast war
kein Problem. Das Haus war groß, die Dienstboten waren zahlreich, und einige
Mäuler mehr zu sättigen war in dem Lande des Überflusses eine Kleinigkeit.
Jedes Alter, jedes Geschlecht fuhr auf Besuch, Hochzeitsreisende, junge Mütter,
die ihre Kleinen herumzeigten, Erholungsreisende, Trauernde, Mädchen, deren
Eltern Wert darauf legten, sie den Gefahren einer törichten Heirat zu
entrücken, andere Mädchen, die unverlobt das gefährliche Alter erreicht hatten
und nun unter Führung auswärtiger Verwandten eine passende Partie machen
sollten. Gäste brachten Anregung und Abwechslung in das langsam fließende Leben
des Südens und waren immer willkommen.
So war
auch Scarlett ohne eine Ahnung, wie lange sie bleiben würde, nach Atlanta
gekommen. War es dort so langweilig wie in Savannah und Charleston, so kehrte
sie nach einem Monat wieder nach Hause zurück. War es aber schön, so konnte sie
unendlich lange bleiben. Aber kaum war sie angekommen, so begannen Tante Pitty
und Melanie einen Feldzug, um sie zu überreden, sich für die Dauer bei ihnen
niederzulassen. Jeden nur erdenklichen Grund führten sie an. Um ihrer selbst
willen wollten sie sie dabehalten, weil sie sie liebhätten. Sie wären so einsam
und fürchteten sich oft nachts in dem großen Hause; sie aber sei tapfer und
mache ihnen Mut. So reizend sei sie, daß sie sie in ihrem Kummer richtig
aufmuntern könne. Seitdem Charles nicht mehr lebe, sei ihr und ihres Sohnes
Platz bei seinen Verwandten. Außerdem gehöre ihr jetzt laut Charles' Testament
die Hälfte des Hauses. Und schließlich brauche die Bundesregierung jede Hand
zum Nähen, Stricken, Scharpiezupfen und zur Verwundetenpflege.
Auch Henry
Hamilton, Charles' Onkel, der als alter Junggeselle im Hotel neben dem Bahnhof
wohnte, sprach
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