Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
Vom Netzwerk:
ihr das Kleid kraus machen. Sie tat
deshalb so, als habe sie Onkel Peters Rat nicht gehört.
    »Vielleicht
lerne ich noch einmal, mit Babys umzugehen«, dachte sie ärgerlich, während der
Wagen sich stoßend und schwankend aus dem Morast herausarbeitete. »Aber mit
ihnen spielen werde ich sicher nie!« Als Wades Gesicht bei seinem Geplärr
dunkelrot wurde, fuhr sie Prissy unwirsch an: »Gib ihm den Zuckerlutscher aus
der Tasche, Priß, damit er nur ja still ist. Ich weiß, er hat Hunger, aber
augenblicklich kann ich nichts dabei machen.«
    Prissy
holte den Lutscher, den Mammy ihr am Morgen gegeben hatte, und das Klagegeheul
ließ nach. Scarletts Stimmung hob sich wieder etwas bei all dem Neuen, das sie
sah. Als der Wagen endlich aus den Schmutzlöchern heraus war und in die
Pfirsichstraße einbog, verspürte sie zum erstenmal seit Monaten ein Interesse
an ihrer Umgebung. Wie war die Stadt gewachsen! Es war nicht viel länger als
ein Jahr her, daß sie zuletzt hiergewesen war, und es war kaum glaublich, wie
sich das kleine Atlanta inzwischen verändert hatte. Von dem Augenblick des
Kriegsbeginns an hatte seine Wandlung begonnen. Dieselben Schienenstränge, die
die Stadt im Frieden zum Brennpunkt des Handels gemacht hatten, gewannen nun im
Krieg die höchste strategische Bedeutung. Fern von der Front bildete die Stadt
das Verbindungsglied zwischen den Truppen der Konföderierten in Virginia und in
Tennessee und dem Westen. Beide Armeen verband Atlanta wiederum mit den
südlichen Gebieten, aus denen sie ihren Bedarf deckten. Es war ein
Fabrikzentrum, eine Lazarettbasis und ein Stapelplatz des Südens für die
Verpflegung und Ausrüstung des Heeres geworden: nicht mehr die Kleinstadt,
deren Scarlett sich noch so gut erinnerte, sondern ein geschäftiger, weit
ausgreifender Riese. Es summte wie ein Bienenstock und war stolz auf seine
Bedeutung für die Konföderierten. Tag und Nacht wurde gearbeitet, um ein
Agrarland in ein Industrieland zu verwandeln.
    Vor dem
Kriege hatte es südlich von Maryland nur wenige Baumwollfabriken,
Wollspinnereien, Waffenund Maschinenfabriken gegeben, und die Bewohner der
Südstaaten hatten sich viel darauf zugute getan. Sie brachten Staatsmänner und
Soldaten, Pflanzer und Ärzte, Juristen und Dichter hervor, aber keine
Ingenieure und Techniker. Mit solchen Gewerben mochten sich die Yankees
abgeben. Nun aber, da die Häfen von den Kanonenbooten der Yankees gesperrt
waren und europäische Waren nur tropfenweise durch die Blockade gelangten,
bemühte sich der Süden verzweifelt, sein eigenes Kriegsmaterial herzustellen.
Dem Morden stand die ganze Welt offen. Tausende von Iren und Deutschen strömten
dem Unionsheere zu, das Handgeld der Nordstaaten lockte. Allein der Süden war
ganz auf sich selbst angewiesen.
    Mühselig
wurden die Maschinen zur Herstellung des Kriegsmaterials gebaut, denn es gab
kaum Modelle, und fast jedes Rädchen mußte nach neuen Zeichnungen angefertigt
werden, die man aus England bezog. Merkwürdige Gesichter tauchten jetzt in den
Straßen von Atlanta auf. Die Bewohner, die noch vor kurzem beim Klang
westlichen Jargons die Ohren spitzten, achteten schon nicht mehr auf die
fremden Sprachen von Europäern, die die Blockade durchbrochen hatten, um hier
Maschinen zur Erzeugung von Munition zu bauen. Es waren geschickte Leute, ohne
die es den Konföderierten wohl schwerlich gelungen wäre, Pistolen, Gewehre,
Kanonen und Pulver herzustellen. Tag und Nacht schlug das Herz dieser Stadt und
trieb das Material durch die Adern der Eisenbahn an die Fronten. Stündlich
brausten Züge herein und hinaus. Aus den neugebauten Fabriken fiel der Ruß in
dichten Schauern auf die weißen Häuser. Nachts glühten die Öfen und dröhnten
die Hämmer noch lange, nachdem die Bürger ins Bett gegangen waren. Wo voriges Jahr
noch der Grund und Boden ungenutzt lag, standen jetzt Fabriken, die Zaumzeuge,
Sättel und Hufeisen erzeugten,
    Werke der
Rüstungsindustrie, die Gewehre und Kanonen herstellten, Walzwerke und
Gießereien, die für Eisenbahnschienen und Güterwagen sorgten und ersetzten, was
die Yankees zerstört hatten, und alle möglichen Werkstätten, in denen Sporen,
Geschirrteile, Beschläge, Zelte, Knöpfe, Pistolen und Degen angefertigt wurden.
Aber schon machte sich ein Mangel an Eisen bemerkbar. Die Blockade ließ so gut wie
nichts durch, und die Bergwerke in Alabama standen beinahe still, weil die
Bergleute an der Front waren. Keine eisernen Gitter, keine eisernen Tore, ja
nicht einmal

Weitere Kostenlose Bücher