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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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man sich kaum vorstellen,
    Tante
Pittypat war vor sechzig Jahren auf die Namen Sarah Jane Hamilton getauft
worden, aber seit dem längst vergangenen Tage, da ihr spaßesfroher Vater ihr
wegen ihrer trippelnden, trappelnden Füße den Kosenamen angehängt hatte, wurde
sie nie mehr anders genannt. Seither hatte sich vieles an ihr verändert, und
der Name wollte nicht mehr recht passen. Von dem wilden frischen Kind war
nichts übriggeblieben als zwei überaus zierliche Füßchen, die ihr Gewicht kaum
tragen konnten, und eine Neigung, verloren und ziellos vor sich hin zu
schwatzen. Sie war dick, rotwangig und weißhaarig geworden und hatte einen
kurzen Atem, weil sie sich immer zu fest schnürte. Weiter als einen Häuserblock
vermochte sie auf ihren winzigen Füßchen, die sie obendrein immer in zu kleine
Schuhe preßte, nicht zu gehen. Bei jeder Erregung geriet ihr Herz aus dem Takt,
denn sie verhätschelte es sehr. Bei jedem Anlaß schwanden ihr die Sinne, aber
jeder wußte, daß ihre Ohnmachten nichts weiter waren als zimperliche Posen; und
jeder hatte Miß Pittypat zu gern, um es ihr zu sagen. Jeder hatte sie gern,
verzog sie wie ein Kind und nahm sie nicht ernst - mit der einzigen Ausnahme
ihres Bruders Henry. Mehr noch als alles andere auf der Welt, sogar als die
Freuden der Tafel, liebte sie harmlosen Klatsch. Stundenlang schwatzte sie
freundlich über die Angelegenheiten anderer Leute. Weder für Namen noch für
Daten und Orte hatte sie ein Gedächtnis, und alle handelnden Personen wurden
von ihr hoffnungslos miteinander verwechselt. Das störte aber niemanden, denn
niemand war so töricht, ernst zu nehmen, was sie sagte, niemand erzählte ihr je
etwas wirklich Anstößiges; ihre altjüngferliche Zimperlichkeit mußte auch mit
sechzig Jahren noch geschont und behütet werden, und ihre Freunde waren im
allgemeinen Wohlwollen miteinander verschworen, sie als verzogenes und umhegtes
Kind zu erhalten.
    Melanie
war ihrer Tante in manchen Zügen ähnlich. Sie hatte etwas von ihrer
Schamhaftigkeit, ihrer Bescheidenheit und ihrer Neigung zum plötzlichen
Erröten; aber sie besaß daneben einen gesunden Menschenverstand. »In gewissem
Sinne, das muß ich zugeben«, meinte Scarlett mit einigem Widerstreben. Melanie
hatte wie Tante Pitty die Miene eines umhegten, herzensguten und einfältigen
Kindes, welches das Böse nie mit Augen gesehen hat und es nicht erkennen würde,
wenn es ihm begegnete. Sie war immer glücklich gewesen und wollte, daß auch
alle um sie herum glücklich und zufrieden seien. Sie betrachtete alles von der
besten und freundlichsten Seite. Kein Dienstbote war so dumm, daß sie nicht
irgendeinen ausgleichenden Zug der Treue und Herzensgüte an ihm entdeckte, kein
Mädchen so häßlich, daß sie nicht seine Gestalt anmutig oder seinen Charakter
edel fand, kein Mann so ohne Wert und Bedeutung, daß sie ihn nicht dennoch im
Lichte seiner besten Möglichkeiten zu sehen versuchte. Um dieser gutherzigen
Züge willen scharte sich alles um sie, denn wer könnte der Anziehungskraft
eines Menschen widerstehen, der an allen anderen so hohe Eigenschaften
entdeckt, wie sie selber sich niemals träumen lassen! Sie hatte mehr
Freundinnen als irgend jemand sonst und auch mehr Freunde, wenn auch nur wenige
Verehrer. Ihr fehlten der Eigensinn und die Eigenliebe, die den Männerherzen
ein gut Stück voranzuhelfen pflegen.
    Melanie
tat nur das, was allen Mädchen aus den Südstaaten anerzogen wurde: sie sorgte
unentwegt für allgemeine Unbefangenheit und Selbstzufriedenheit. Diese
segensreiche Verschwörung der Frauen machte das gesellige Leben in den
Südstaaten so angenehm. Ein Land, wo die Männer zufrieden waren, wo ihnen nicht
widersprochen und sie in ihrer Eitelkeit nicht verletzt wurden, mußte ein angenehmer
Aufenthaltsort für Frauen sein. Das wußten sie und richteten sich danach. Die
Männer vergalten es ihnen reichlich mit Ritterlichkeit und Verehrung. Sie
gönnten den Damen von Herzen alles in der Welt, nur nicht ihren Verstand.
Scarlett ließ dieselben Künste wie Melanie spielen, jedoch mit vollendeter
Geschicklichkeit. Der Unterschied zwischen den beiden Mädchen bestand darin,
daß Melanie die Menschen, Scarlett aber sich selber glücklich machen wollte.
    Charles
hatte in diesem Hause keinerlei stählenden Einfluß erfahren und nichts von der
rauhen Wirklichkeit des Lebens zu spüren bekommen. Verglichen mit Tara war dies
Heim ein weiches, altmodisches Nest. Scarlett fand, es schreie förmlich

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