Margos Spuren
»Toll. Erst fängt die Geschichte so vielversprechend an – mit einem schönen Mädchen, das in mich verliebt ist, und mit einem Mord und lauter Verwicklungen, und dann werde ich am Ende einfach abgemurkst.«
»Stimmt.« Sie lächelt. »Aber ich musste dich abmurksen, denn das einzig mögliche andere Ende wäre gewesen, dass wir in die Kiste hüpfen, und dazu war ich mit zehn emotional nicht reif genug.«
»Na gut«, sage ich. »Aber bei der Neuauflage will ich ein bisschen Action.«
»Nachdem dich der Schurke erwischt hat, vielleicht. Ein Kuss, bevor du stirbst.«
»Sehr großzügig.« Ich könnte aufstehen und zu ihr gehen und sie küssen. Theoretisch. Aber da ist immer noch zu viel, was ich kaputt machen könnte.
»Also. In der fünften Klasse habe ich die Geschichte fertig geschrieben. Ein paar Jahre später beschließe ich abzuhauen und nach Mississippi zu gehen. Ich schreibe die ganze Planung zu diesem Großereignis in mein kleines schwarzes Buch, quer über die alte Geschichte, und dann setze ich es in die Tat um – nehme Mamas Auto, fahre tausend Kilometer und hinterlasse einen Wegweiser in der Buchstabensuppe. Die Fahrt hat nicht mal Spaß gemacht – war ziemlich einsam –, aber ich bin froh, dass ich es getan habe, verstehst du? Also schmiede ich weitere Pläne, die ich quer über die Seiten schreibe – Streiche und Ideen, wen ich mit wem verkupple, gigantische Klopapierkampagnen und geheime Autoausflüge und so weiter. Als die elfte Klasse anfängt, ist das Buch schon zur Hälfte voll, und da beschließe ich, noch eine Sache durchzuziehen, eine große, und dann ganz zu verschwinden.«
Sie will weiterreden, aber ich muss sie unterbrechen. »Was ich nicht verstehe, ist, ob es am Ort oder an den Leuten lag. Ich meine, was wäre passiert, wenn die Leute anders gewesen wären?«
»Wie kann man das voneinander trennen? Die Leute sind der Ort ist die Leute. Außerdem dachte ich, es gibt einfach keine Leute, mit denen ich befreundet sein könnte. Ich dachte, alle sind entweder Schisser wie du oder oberflächlich wie Lacey. Und dann …«
»Ich bin mutiger, als du denkst«, sage ich. Was stimmt. Das wird mir aber erst klar, als ich es gesagt habe.
»Dazu komme ich noch«, entgegnet sie beinahe vorwurfsvoll. »Also, als ich in die Neunte komme, nimmt Gus mich mit nach Osprey.« Ich sehe sie verwirrt an. »Die stillgelegten Läden. Irgendwann fange ich an allein rauszufahren. Ich hänge rum und mache Pläne. Und seit letztem Jahr drehen sich alle Pläne um den letzten großen Coup. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass ich die alte Geschichte noch mal gelesen habe, aber jedenfalls wollte ich dich dabeihaben. Meine Absicht war, dass wir zusammen auf den Putz hauen – in SeaWorld einbrechen, das war Teil des ursprünglichen Plans – und dass ich zum Abschluss einen richtigen Rowdy aus dir mache. Diese Nacht sollte so was wie deine Befreiung sein. Und dann würde ich verschwinden, und du würdest dein Leben lang an mich denken.
Jedenfalls hat der Plan plötzlich siebzig Seiten, und seine Umsetzung steht kurz bevor, und der Plan ist wirklich schön geworden. Aber dann finde ich das mit Jason raus und beschließe gleich abzuhauen. Sofort. Ich brauche den Schulabschluss nicht. Was nutzen mir die Zeugnisse? Aber zuerst habe ich noch ein paar Dinge zu erledigen. In der Schule habe ich also den ganzen Tag mein Buch auf dem Tisch und versuche, den Plan auf Becca und Jason und Lacey umzuschreiben, auf alle, die mich als Freunde enttäuscht haben, und überlege mir, wie ich ihnen einen Denkzettel verpassen kann, bevor ich mich für immer aus dem Staub mache.
Nur das mit dir wollte ich immer noch durchziehen. Irgendwie hing ich an der Idee, wenigstens den Ansatz des Teufelskerls aus meiner Kindergeschichte aus dir rauszuholen.
Und dann hast du mich überrascht«, sagt sie. »All die Jahre warst du ein Plastiktyp für mich – künstlich als Figur in meinem Buch und künstlich im richtigen Leben, anders künstlich, aber trotzdem nicht echt. Doch dann stellt sich in dieser Nacht raus, dass du aus Fleisch und Blut bist. Und am Ende ist alles so schräg und lustig und magisch mit dir, dass ich dich, als ich morgens wieder in meinem Zimmer bin, vermisse . Ich will rübergehen und mit dir rumhängen und reden, aber mein Aufbruch ist längst beschlossen, und das heißt, dass ich gehen muss . Und dann, in letzter Sekunde, kommt mir die Idee, dich nach Osprey zu locken. Ich will dir Osprey hinterlassen, damit du dort
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