Margos Spuren
er einen kleinen Pimmel und eine brillante, rachsüchtige Exfreundin hatte. Andererseits hatte Jason in der sechsten Klasse versprochen, mir nicht in den Bauch zu boxen, wenn ich einen lebendigen Regenwurm aß, und nachdem ich den lebendigen Regenwurm gegessen hatte, schlug er mir ins Gesicht. Mein Mitleid währte also nicht lange.
Margo beobachtete das Haus durch das Fernglas. »Wir müssen los«, sagte sie. »Wir müssen in den Keller.«
»Warum das denn?«
»Teil vier. Seine Kleider klauen für den Fall, dass er sich zurückschleichen will. Und Teil fünf. Becca einen Fisch hinterlassen.«
»Nein.«
»Doch. Jetzt«, sagte sie. »Im Moment ist Becca oben und lässt sich von ihren Eltern anschreien. Aber wie lange kann so eine Standpauke schon dauern? Was gibt es zu sagen außer : ›Du sollst nicht im Keller mit Margos Freund rumvögeln.‹ Das ist ein Satz. Wir müssen uns beeilen.«
Mit der Sprühfarbe in der einen und einem der Schellfische in der anderen Hand stieg sie aus.
»Das ist keine gute Idee«, flüsterte ich, aber ich folgte ihr, geduckt wie sie, bis wir vor dem offen stehenden Kellerfenster standen.
»Ich gehe vor«, sagte sie. Sie stieg mit den Füßen zuerst ein. Als sie auf Beccas Computertisch stand, halb im Haus und halb im Garten, fragte ich : »Kann ich nicht einfach Schmiere stehen?«
»Sieh zu, dass du deinen dürren Arsch hier reinkriegst«, zischte sie, und ich gehorchte. Eilig sammelte ich alle Jungs-sachen ein, die auf Beccas lila Teppichboden verstreut waren. Eine Jeans mit Ledergürtel, ein Paar Flipflops, eine Baseballkappe der Wildcats-Winter-Park-Highschool und ein hellblaues Polohemd. Ich sah Margo an, die mir den eingewickelten Schellfisch und einen von Beccas lila Glitzerstiften in die Hand drückte. Dann diktierte sie :
Eine Nachricht von Margo Roth Spiegelman :
Deine Freundschaft mit ihr – schläft bei den Fischen.
Margo legte den Fisch zwischen ein paar gefaltete Shorts in Beccas Schrank. Plötzlich hörte ich Schritte von oben. Ich tippte Margo auf die Schulter und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an, doch sie lächelte nur und griff seelenruhig nach der Farbdose. Ich kletterte hastig aus dem Fenster und sah von draußen zu, wie Margo sich über den Schreibtisch beugte und ganz entspannt die Sprühdose schüttelte. Mit einer einzigen eleganten Handbewegung – die mich an chinesische Kalligraphie oder an Zorro erinnerte – sprayte sie den Buchstaben M quer über die Wand.
Dann streckte sie mir die Hände entgegen, und ich zog sie durchs Fenster. Sie stand gerade auf, als eine schrille Stimme hinter uns schrie : »DWIGHT!«
Ich packte die Klamotten, und wir rannten los, Margo hinter mir.
Ohne mich umzudrehen, hörte ich, wie die Haustür aufgerissen wurde, doch ich blieb nicht stehen – nicht, als eine donnernde Stimme »HALT!« rief, und auch nicht, als ich das unverwechselbare Geräusch eines Gewehrs hörte, das entsichert wurde.
Ich hörte, wie Margo »Schrotflinte« murmelte – nicht erschrocken, sondern eher wie eine Bestandsaufnahme –, und statt um die Hecke herumzulaufen, machte ich einen Hechtsprung darüber. Ich bin mir nicht sicher, wie ich die Landung geplant hatte – vielleicht als sportlichen Purzelbaum –, jedenfalls segelte ich mit vollem Schwung auf die Straße und krachte auf meine linke Schulter. Glücklicherweise kamen Jasons Klamotten vor mir am Boden auf und dämpften den Aufprall.
Ich fluchte, doch Margo zog mich auf die Füße, und dann saßen wir im Wagen, und ich fuhr ohne Scheinwerfer rückwärts, wobei ich beinahe den halb nackten Kapitän der Winter-Park-Wildcats überrollte. Jason rannte schnell, doch er schien kein Ziel zu haben. Wieder überkam mich ein Anflug von Mitleid, und ich ließ das Fenster runter und warf das Polohemd in seine Richtung. Zum Glück konnte er weder Margo noch mich erkennen und auch den Kleinbus nicht, weil – und das soll nicht verbittert klingen – ich nicht mit dem Wagen zur Schule fahren durfte.
»Was zum Teufel soll das?«, fragte Margo, als ich die Scheinwerfer anstellte und — inzwischen im Vorwärtsgang — versuchte aus dem Labyrinth der Stichstraßen herauszufinden.
»Ich hatte Mitleid mit ihm.«
»Mitleid? Wieso? Weil er mich seit sechs Wochen betrügt? Weil er mir vielleicht eine Geschlechtskrankheit angehängt hat? Weil er ein widerlicher Vollidiot ist, der wahrscheinlich sein ganzes Leben in Reichtum und Glück verbringt und damit ein Beweis für die
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