Margos Spuren
gnadenlose Ungerechtigkeit des Universums ist?«
»Er sah irgendwie verzweifelt aus«, sagte ich.
»Geschieht ihm recht. Und jetzt fahren wir zu Karin. Sie wohnt auf der Pennsylvania Avenue. Neben dem ABC-Schnapsladen.«
»Sei nicht sauer«, sagte ich. »Gerade hat jemand mit einer Schrotflinte auf mich gezielt, weil ich dir geholfen habe, also sei bloß nicht sauer auf mich.«
»ICH BIN NICHT SAUER AUF DICH!«, schrie Margo und schlug mit der Faust gegen das Armaturenbrett.
»Warum schreist du dann?«
»Ich dachte, vielleicht … Ich weiß auch nicht. Ich dachte, vielleicht stimmt es auch gar nicht.«
»Oh.«
»Karin hat es mir vor der Schule gesteckt. Ich schätze, die meisten haben es schon länger gewusst. Aber keiner hat es mir gesagt, bis Karin zu mir kam. Bis eben hatte ich gedacht, vielleicht wollte sie sich nur wichtig machen.«
»Das tut mir leid«, sagte ich.
»Ja. Na ja. Bescheuert, dass es mir überhaupt was ausmacht.«
»Mein Herz klopft wie wild«, sagte ich.
»Daran merkst du, dass du dich gut amüsierst«, sagte Margo.
Aber es fühlte sich nicht so an, als würde ich mich gut amüsieren; es fühlte sich an wie ein Herzinfarkt. Ich fuhr auf den Parkplatz eines Seven-Eleven-Supermarkts und legte den Finger auf meine Halsschlagader, während ich den Doppelpunkt der Digitaluhr anstarrte, der im Sekundentakt blinkte. Als ich zu Margo sah, verdrehte sie die Augen. »Mein Puls rast«, erklärte ich.
»Ich kann mich nicht mal erinnern, wann ich mich das letzte Mal wegen so was aufgeregt habe. Adrenalin im Hals und Lungen, die sich aufblähen.«
»Durch die Nase einatmen, durch den Mund ausatmen«, murmelte ich.
»Du mit deinen Neurosen. Du bist richtig …«
»Süß?«
»Sagt man das heutzutage, wenn man kindisch meint?« Margo lächelte.
Dann kletterte sie auf den Rücksitz und kam mit einer Handtasche zurück. Was hat sie noch alles da hinten?, fragte ich mich. Sie klappte die Handtasche auf und holte ein Fläschchen Nagellack heraus, so dunkelrot, dass er schon fast schwarz war.
»Während du dich abregst, lackiere ich mir die Fingernägel«, sagte sie und lächelte mich unter ihrem Pony an, »also lass dir ruhig Zeit.«
Und so saßen wir da, sie mit dem Nagellack, den sie auf dem Armaturenbrett abstellte, und ich mit einem zittrigen Finger an meinem Puls. Es war eine gute Nagellackfarbe, und Margo hatte schöne Finger, dünner und knochiger als der Rest von ihr, denn der war kurvig und hatte weichere Konturen. Sie hatte die Art von Fingern, in die man seine eigenen flechten will. Ich dachte daran, wie ihre Finger im Wal-Mart auf meinem Hüftknochen gelegen hatten, und es kam mir vor, als wäre es Tage her. Mein Herzschlag beruhigte sich. Und ich versuchte mir einzureden : Margo hat recht. Ich musste keine Angst haben, nicht in dieser kleinen Stadt in dieser ruhigen Nacht.
5
»Teil sechs«, sagte Margo, als wir wieder auf der Straße waren. Sie wedelte mit den Fingernägeln durch die Luft, als würde sie Klavier spielen. »Blumen mit Entschuldigungsbrief vor Karins Tür ablegen.«
»Was hast du ihr angetan?«
»Na ja, nachdem sie mir von Jason erzählt hat, habe ich sozusagen den Boten gekreuzigt.«
»Wie das?«
Wir hielten an einer roten Ampel, und ein paar Kids in einem Sportwagen neben uns ließen den Motor aufheulen. Als würde ich mir in Mamas Kleinbus ein Rennen liefern. Wenn ich zu fest aufs Gas trat, winselte er.
»Ich weiß nicht mehr genau, was ich alles zu ihr gesagt habe, aber so was wie : ›Dumme, feige, eiterpickelige, hasenzahnige, fettärschige Zicke mit der grässlichsten Frisur in Mittelflorida‹ – und das ist eine Leistung.«
»Ihre Frisur ist echt ziemlich albern«, sagte ich.
»Eben. Das war das einzig Wahre von allem, was ich gesagt habe. Aber wenn du jemanden beschimpfst, musst du drauf achten, dass du nie echte Schwächen erwähnst, denn die kannst du nie aufrichtig zurücknehmen, verstehst du? Ich meine, es gibt Strähnchen. Und es gibt Streifen. Und es gibt Zebrastreifen.«
Als wir bei Karin vorfuhren, verschwand Margo auf der Rückbank und kam mit den Tulpen zurück. An einem der Stängel klebte ein Zettel, den sie zu einem Briefumschlag gefaltet hatte. Sobald wir standen, überreichte sie mir den Strauß, und ich sprintete den Bürgersteig hinauf, legte die Blumen vor der Haustür ab und sprintete zurück.
»Teil sieben«, sagte sie, als ich wieder im Wagen saß. »Ein Fisch für den reizenden Mr. Worthington.«
»Ich gehe nicht davon
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