Margos Spuren
dann ging es querfeldein durch ein Dickicht aus hohem Gestrüpp unter dicken Eichen. Ich hatte Angst vor Giftefeu, doch Ninjas haben keine Angst vor Giftefeu, und so ging ich voraus, mit vorgestreckten Händen, und bahnte uns den Weg durch Dornen und Äste. Endlich wichen die Bäume zurück, und vor uns lag ein Stück freies Feld, und ich sah rechts den Highway und vor uns den Graben. Von der Straße hätte man uns sehen können, doch es kamen keine Autos vorbei. Zusammen rannten wir das letzte Stück, dann schlugen wir einen Haken auf den Parkway zu. Margo rief : »Jetzt! Los!«, und ich rannte über die sechsspurige Straße. Auch wenn kein Mensch unterwegs war, fühlte es sich berauschend und verboten an, einen Highway zu Fuß zu überqueren.
Wir schafften es auf die andere Seite und knieten uns dort ins hohe Gras. Margo zeigte auf einen Streifen Bäume zwischen dem riesigen SeaWorld-Parkplatz und dem schwarzen stehenden Wasser des Grabens. Wir rannten eine Minute an den Bäumen entlang, dann zog Margo mich von hinten am T-Shirt und sagte leise : »Und jetzt der Graben.«
»Ladies first«, sagte ich.
»Nicht nötig. Du darfst gerne zuerst.«
Und dann dachte ich nicht mehr an die Alligatoren und die ekelhafte Schicht brackiger Algen. Ich nahm einfach Anlauf und sprang, so weit ich konnte. Landete hüfttief im Wasser und watete mit langen Schritten hinüber. Das Wasser stank und fühlte sich schleimig an, aber wenigstens war mein Oberkörper trocken geblieben. Bis Margo hinter mir ins Wasser sprang und mich klitschnass spritzte. Ich drehte mich um und spritzte zurück. Sie würgte theatralisch.
»Ninjas spritzen andere Ninjas nicht nass«, beschwerte sie sich.
»Ein echter Ninja spritzt überhaupt nicht«, sagte ich.
»Na gut, der geht an dich.«
Ich sah zu, wie Margo aus dem Graben kletterte. Und ich war durch und durch erleichtert, dass es keine Alligatoren gab. Mein Puls war flott, aber annehmbar. Unter ihrer offenen Kapuzenjacke konnte ich das nasse schwarze T-Shirt sehen, dass an ihrem Körper klebte. Kurz gesagt, es lief alles ziemlich gut, bis ich am Rand meines Blickfelds etwas wahrnahm, das durchs Wasser schwamm, direkt auf Margo zu. Margo setzte einen Fuß ans Ufer, und ich sah, wie sich ihre Achillessehne spannte, und dann, bevor ich schreien konnte, schoss die Schlange aus dem Wasser und biss in Margo in den linken Knöchel, direkt unter dem Hosensaum.
»Scheiße!«, sagte Margo. Sie sah nach unten und sagte noch mal »Scheiße!«. Die Schlange hatte sich in ihrem Bein verbissen. Mit einem Satz war ich bei ihr, packte die Schlange am Schwanz, riss sie von Margos Bein ab und schleuderte sie in den Graben. »O Gott«, sagte sie. »Was war das? Eine Viper?«
»Ich weiß es nicht. Leg dich hin, leg dich hin«, rief ich, und dann nahm ich ihr Bein und schob die Jeans hoch. Wo die Schlange zugebissen hatte, waren zwei Blutströpfchen, und ich beugte mich vor, drückte den Mund auf die Wunde und saugte, so fest ich konnte, um das Gift rauszukriegen. Als ich ausspuckte und weitersaugen wollte, rief Margo : »Warte, ich sehe sie«, und ich sprang erschrocken auf, aber sie sagte : »Nein, nein, Gott sei Dank, es ist nur eine Strumpfbandnatter.« Sie zeigte in den Graben, und dann sah ich sie auch, die harmlose kleine Strumpfbandnatter, die an der Wasseroberfläche schwamm, am Rand des Flutlichtkegels. Vom hell erleuchteten Ufer wirkte sie etwa so bedrohlich wie eine junge Eidechse.
»Gott sei Dank.« Ich setzte mich und schnappte nach Luft.
Margo untersuchte ihren Biss. Als sie festgestellt hatte, dass er nicht mehr blutete, fragte sie : »Und wie war es, mit meinem Bein rumzuknutschen?«
»Ganz schön«, antwortete ich, was stimmte. Sie lehnte sich an mich, und ich spürte ihren Oberarm an meinen Rippen.
»Genau dafür habe ich mir heute Morgen die Beine rasiert. Ich dachte : Du weißt nie, ob sich heute nicht jemand an deine Wade ranmacht und versucht dir Schlangengift auszusaugen.«
Vor uns war ein Maschendrahtzaun, doch der war nur etwa eins achtzig hoch. Wie Margo es ausdrückte : »Erst eine Strumpfbandnatter und dann so ein Zaun? Für einen Ninja ist das fast eine Beleidigung.« Sie sprang hoch, hielt sich oben fest, schwang die Beine über den Zaun und glitt elegant auf der anderen Seite herunter. Ich schaffte es wenigstens nicht abzustürzen.
Wir liefen durch ein kleines Wäldchen, in dem riesige undurchsichtige Wasserbehälter standen, in denen vielleicht Tiere
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