Margos Spuren
schliefen, und dann kamen wir an einen asphaltierten Weg, und vor uns war das große Amphitheater, wo Shamu der Orka mich einmal nass gespritzt hatte, als ich ein Kind war. Aus kleinen Lautsprechern am Wegesrand kam leise Fahrstuhlmusik. Vielleicht um die Tiere zu beruhigen. »Margo«, sagte ich, »wir sind in SeaWorld.«
Und sie sagte : »Ich weiß«, und dann rannte sie los, und ich lief hinterher. Wir kamen an das Seehundbecken, aber es sah so aus, als ob die Seehunde nicht zu Hause waren.
»Margo«, sagte ich wieder, »wir sind in SeaWorld.«
»Genieß es«, sagte sie, fast ohne den Mund zu bewegen, »denn da kommt der Nachtwächter.« Ich stürzte mich ins hüfthohe Gebüsch, doch als Margo sich nicht bewegte, blieb ich stehen. Ein Mann in einer Weste, auf der SEAWORLD SECURITY stand, kam auf uns zugeschlendert und fragte ganz beiläufig : »Na, wie läuft’s?« Er hielt eine Dose in der Hand – Pfefferspray, wahrscheinlich.
Um ruhig zu bleiben, dachte ich über verschiedene Fragen nach : Benutzt er normale Handschellen, oder gibt es spezielle Sea-World-Handschellen? Wenn ja, haben sie die Form von zwei springenden Delphinen?
»Wir wollten gerade gehen«, sagte Margo.
»So viel steht fest«, sagte der Mann. »Die Frage ist nur, ob ihr zu Fuß geht oder ob euch der Sheriff abholt.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, gehen wir lieber zu Fuß«, erklärte Margo. Ich schloss die Augen. Das hier war nicht die Zeit für Witze, wollte ich zu Margo sagen. Aber der Mann lachte.
»Wisst ihr, vor ’n paar Jahren ist hier ein Mann getötet worden, weil er ins große Becken gesprungen ist, und seitdem haben wir Anweisung, keinen mehr einbrechen zu lassen. Können sie noch so hübsch sein.« Margo zog an ihrem nassen T-Shirt. Erst jetzt kapierte ich, dass er mit ihren Brüsten sprach.
»Ich schätze, dann müssen Sie uns wohl verhaften.«
»Genau das is’ das Problem. Ich wollte nämlich gerade Feierabend machen, heimgehen, Bierchen trinken und mich aufs Ohr hauen, aber wenn ich die Polizei rufe, lassen die sich hübsch Zeit, bis die hier sind. Ich mein, ich denk hier nur mal laut.« Verständig zog Margo die Brauen hoch. Dann schob sie die Hand in die nasse Hosentasche und fummelte einen mit Abwasser getränkten Hundertdollarschein heraus.
Der Wachmann sagte : »Ich schätze, ihr geht dann mal lieber. Und ich an eurer Stelle würde nicht um den Waltank rumgehen. Da sind überall Überwachungskameras, und wir wollen ja nicht, dass jemand mitkriegt, dass ihr da wart.«
»Ja, Sir«, sagte Margo kleinlaut, und dann spazierte der Mann in die Dunkelheit davon. »Verdammt«, murmelte sie, als er verschwunden war. »Das macht echt keinen Spaß, so ’nen Spanner zu schmieren. Aber was soll’s. Geld ist zum Ausgeben da.« Ich hörte sie kaum; das Einzige, was ich mitbekam, war der Schauer der Erleichterung, der über meine Haut lief. Das primitive Glück des schieren Überlebens. Allein das war die Aufregung wert.
»Gott sei Dank hat er uns nicht angezeigt«, sagte ich.
Margo antwortete nicht. Sie kniff die Augen zusammen und starrte in die Ferne. »Genau so war es auch, als ich in die Universal Studios eingebrochen bin«, sagte sie dann. »Irgendwie ist es cool und alles, aber eigentlich gibt es nicht viel zu sehen. Die Attraktionen sind zu. Alles ist abgeschlossen. Die meisten Tiere tun sie nachts in andere Becken.« Abschätzig ließ sie den Blick über den Freizeitpark gleiten. »Ich schätze, das Reizvolle ist nicht, drin zu sein.«
»Was ist dann das Reizvolle?«, fragte ich.
»Das Planen vielleicht. Ich weiß es auch nicht. Aber die Ausführung ist nie so spannend, wie man gehofft hat.«
»Ich finde es ziemlich spannend«, gestand ich. »Auch wenn es nichts zu sehen gibt.« Ich setzte mich auf eine Parkbank, und sie setzte sich neben mich. Zusammen blickten wir auf das Seehundbecken, in dem keine Seehunde waren, sondern nur die leere Insel mit dem schroffen Plastikfelsen. Ich konnte Margo neben mir riechen, den Schweiß und die Algen aus dem Graben und den Fliederduft ihres Shampoos und den Geruch ihrer Haut, nach gemahlenen Mandeln.
Zum ersten Mal spürte ich Müdigkeit, und ich stellte mir vor, wie wir zusammen auf einem Stück Wiese hier in SeaWorld lagen, ich auf dem Rücken und sie neben mir, mit ihrem Arm über meiner Brust und ihrem Kopf an meiner Schulter. Ohne etwas zu machen – einfach nur daliegen, gemeinsam unter dem Himmel, hier, wo die Nacht so hell erleuchtet war, dass sie das
Weitere Kostenlose Bücher