Margos Spuren
Schnuckelpuppe das patentierte Ben-Starling-Rennboot mache.« Wobei Ben die unwahrscheinliche Situation nachstellte, wie er das Gesicht zwischen zwei Frauenbrüste drückte.
»In diesem Moment«, sagte ich, »läuft es Tausenden von Mädchen quer durch Amerika eiskalt über den Rücken, und sie wissen nicht, warum. Außerdem ist überhaupt nichts gelaufen, du Lustmolch.«
»Typisch«, sagte Ben. »Ich bin der einzige von uns, der die Eier hat, einer Puppe zu geben, was sie will, und der einzige, der nie die Gelegenheit dazu bekommt.«
»Was für ein erstaunlicher Zufall«, bemerkte ich. Das Leben war genau wie immer – nur dass ich müder war. Ich hatte gehofft, die letzte Nacht würde mein Leben verändern, aber das hatte sie nicht – zumindest noch nicht.
Es klingelte noch einmal. Wir beeilten uns, zu unseren Kursen zu kommen.
In der ersten Stunde, Mathe, überkam mich eine unglaubliche Müdigkeit. Ich meine, ich war todmüde, seit ich aufgewacht war, aber die Kombination aus Müdigkeit und Integralrechnung war einfach unfair. Um wach zu bleiben, schrieb ich Margo einen Brief – nicht dass ich vorhatte, ihn ihr zu geben, es war nur eine Zusammenfassung meiner Lieblingsmomente in der letzten Nacht –, doch auch das hielt mich nicht wach. Irgendwann bewegte sich der Kuli nicht mehr, und mein Blickfeld wurde kleiner und kleiner, und ich versuchte mich zu erinnern, ob Tunnelblick ein Zeichen von Übermüdung war. Ich nahm an, dass es so war, denn vor mir sah ich nur noch eins, Mr. Jiminez an der Tafel, mehr konnte mein Gehirn nicht verarbeiten, weshalb ich außerordentlich verwirrt war, als Mr. Jiminez plötzlich »Quentin?« sagte, denn ich konnte nicht begreifen, dass er gleichzeitig eine visuelle und eine akustische Präsenz in meinem Leben sein konnte.
»Ja?«, sagte ich.
»Hast du die Frage gehört?«
»Ja?«, sagte ich wieder.
»Und du hast dich gemeldet, weil du sie beantworten wolltest?« Ich sah auf — meine Hand war tatsächlich oben, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie sie dahin gekommen war, und nur ungefähr wusste, wie ich sie wieder herunter bekam. Nach kurzem Kampf schaffte es mein Hirn, dem Arm den Befehl zur Rückkehr zu geben, und der Arm gehorchte, und dann endlich sagte ich : »Ich wollte fragen, ob ich mal aufs Klo gehen kann.«
Mr. Jiminez sagte : »Geh schon«, und dann meldete sich jemand anderes und beantwortete die Frage, in der es um irgendeine Differentialgleichung ging.
Ich ging zum Waschraum, spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und beugte mich zum Spiegel, um mich anzusehen. Ich versuchte mir die Röte aus den Augen zu reiben, ohne Erfolg. Dann kam mir die rettende Idee. Ich setzte mich in einer der Kabinen auf den Klodeckel, lehnte den Kopf an die Kabinenwand und schlief ein. Leider währte mein Schlaf nur 16 Millisekunden, dann klingelte es zur zweiten Stunde. Ich stand auf und wankte zum Lateinkurs und später zum Physikkurs, und dann war endlich Mittagspause, und ich fand Ben in der Cafeteria und sagte : »Ich muss mich dringend hinlegen.«
»Lass uns mit dem RHAPAW Mittagessen fahren«, antwortete er.
Der RHAPAW war ein fünfzehn Jahre alter Buick, der schon von Bens drei Geschwistern hart rangenommen worden war. Als er schließlich bei Ben ankam, bestand er hauptsächlich aus Klebeband und Spachtelmasse. Sein voller Name war RODE HARD AND PUT AWAY WET, doch wir zogen die Abkürzung vor. RHAPAW fuhr nicht mit Benzin, sondern mit dem unerschöpflichen Treibstoff menschlicher Hoffnung. Man saß auf dem kochend heißen Vinyl der Sitze und hoffte, er würde anspringen, und dann drehte Ben den Schlüssel im Zündschloss, und der Motor machte ein paar müde Umdrehungen wie das letzte schlaffe Zucken eines sterbenden Fischs an Land. Dann hoffte man stärker, und der Motor machte noch ein paar Umdrehungen. Man hoffte noch mehr, und irgendwann sprang er an.
Ben ließ den RHAPAW an und drehte die Klimaanlage auf. Drei der vier Fenster ließen sich nicht öffnen, aber die Klimaanlage lief auf Hochtouren, auch wenn sie in den ersten Minuten nur heiße Luft aus den Lüftungsschlitzen blies, die sich mit der abgestandenen heißen Luft im Wagen mischte. Ich kurbelte den Beifahrersitz nach unten, so dass ich beinahe liegen konnte, und dann erzählte ich Ben die ganze Geschichte : Margo an meinem Fenster, der Wal-Mart, die Rache, das SunTrust Building, wie wir ins falsche Haus eingestiegen waren, SeaWorld, Ich-werde-dich-vermissen.
Er unterbrach mich kein
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