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Margos Spuren

Margos Spuren

Titel: Margos Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Green
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gemacht, ohne ihr zuzuhören und ohne zu merken, dass ihre Fenster genauso trübe waren wie meine. Deshalb fiel es mir so schwer, mir vorzustellen, dass auch sie ängstlich war, dass auch sie sich einsam fühlen konnte in einem Raum voller Menschen, dass sie nichts von ihrer Plattensammlung erzählte, weil es ihr zu persönlich war. Dass sie Reiseführer las, um der Stadt zu entkommen, die für viele ein Reiseziel ist. Dass sie – weil keiner merkte, dass sie ein ganz normaler Mensch war – niemanden hatte, mit dem sie reden konnte.
    Und plötzlich ahnte ich, wie Margo Roth Spiegelman sich fühlte, wenn sie nicht Margo Roth Spiegelman war : Sie fühlte sich leer. Sie fühlte sich, als wäre sie von einer unbezwingbaren Mauer umgeben. Ich dachte daran, wie sie auf der Teppichrolle schlief, über ihr der gezackte Ausschnitt des Himmels. Vielleicht fühlte sich Margo dort wohl, weil Margo der Mensch schon immer so lebte : in einem einsamen Raum mit blinden Fenstern, wo das einzige Licht durch ein Loch im Dach fällt. Ja. Der Fehler, den ich die ganze Zeit gemacht hatte – zu dem sie mich verleitet hatte, musste man fairerweise sagen –, war der : Margo war kein Wunder. Sie war kein Abenteuer. Sie war kein zartes und kostbares Ding. Margo war ein ganz normaler Mensch.
16
    Die Uhr war quälend langsam wie immer, aber das Gefühl, der Lösung der Rätsel an diesem Tag näherkommen zu können, brachte die Zeit am Dienstag endgültig zum Stillstand. Wir hatten beschlossen, gleich nach der Schule zusammen zu der verlassenen Ladenzeile zu fahren, und das Warten darauf war unerträglich. Als es endlich klingelte, rannte ich die Treppe hinunter und stürzte aus der Tür, bis mir einfiel, dass wir erst aufbrechen konnten, wenn Ben und Radar mit der Orchesterprobe fertig waren. Also setzte ich mich vor den Musikraum und holte ein Stück der in Servietten eingewickelten Pizza aus dem Rucksack, die ich seit dem Mittagessen mit mir herumtrug. Nach dem ersten Viertel setzte sich Lacey Pemberton dazu. Ich bot ihr ein Stück Pizza an. Sie lehnte dankend ab.
    Natürlich sprachen wir über Margo. Die Lücke, die wir gemeinsam hatten. »Wir suchen nach einem konkreten Ort«, sagte ich und wischte mir das Pizzafett an der Jeans ab, »aber ich weiß nicht, ob ich mit den Bauruinen auch nur annähernd richtigliege. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin vollkommen auf dem Holzweg.«
    »Ja, so geht es mir auch. Andererseits – mal abgesehen von der Angst um sie –, irgendwie ist es schön, Dinge über sie rauszufinden. Dinge, die ich vorher nicht wusste. Ich kannte sie gar nicht richtig. Für mich war sie immer nur meine verrückte, schöne Freundin, die all diese verrückten, schönen Dinge tut.«
    »Ja, nur dass sie diese Dinge nicht einfach so getan hat. Ich meine, alles, was sie machte, war … Ich weiß auch nicht.«
    »Alles, was sie macht, hat Stil«, sagte Lacey. »Sie ist der einzige Mensch, den ich kenne, der richtig Stil hat.«
    »Ja.«
    »Deswegen fällt es mir so schwer, sie mir in einem dreckigen, dunklen, verwahrlosten Loch vorzustellen.«
    »Ja«, sagte ich. »Mit Ratten.«
    Lacey zog die Knie an und rollte sich ein wie ein Embryo. »Igitt. Das sieht Margo überhaupt nicht ähnlich.«
     
    Irgendwie ergatterte Lacey den Vordersitz, obwohl sie die Kleinste von uns war. Ben saß am Steuer. Ich seufzte laut, als Radar, der neben mir saß, den Palmtop rausholte und an Omnictionary zu arbeiten begann.
    »Ich will nur den Blödsinn auf der Chuck-Norris-Seite bereinigen«, sagte er. »Ich stimme ja zu, dass Chuck Norris’ Spezialität der Roundhouse-Kick ist, aber ich halte es für unzulässig zu sagen : ›Chuck Norris’ Tränen könnten Krebs heilen, nur leider hat er noch nie geweint.‹ Außerdem brauche ich zur Blödsinnsbereinigung nur knapp vier Prozent meines Gehirns.«
    Ich verstand, dass Radar mich aufheitern wollte, aber ich hatte nur ein Thema im Sinn. »Ich bin nicht wirklich davon überzeugt, dass sie in einer Geistersiedlung ist. Kann sein, dass sie mit ›falsche Städte‹ einfach nur die falschen Städte meinte statt den richtigen, versteht ihr? Viele Hinweise, kein konkretes Ziel.«
    Radar sah einen Moment auf, dann starrte er wieder auf den Bildschirm. »Ich persönlich glaube, sie ist über alle Berge. Sie klappert irgendwelche absurden Sehenswürdigkeiten ab und denkt fälschlicherweise, sie hätte ausreichend Hinweise hinterlassen, die alles erklären. Im Moment ist sie wahrscheinlich in Omaha,

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