Maria, ihm schmeckts nicht!
Goethe und Mozart.
Nichts, Staub. Meinen Einwurf, Mozart sei Österrei-
cher, lässt er nicht gelten.
»Lauda annegeblich auch iste Österreicher, aber
tritt immer auf in deutsche Fernsehen, also für mich iste auch Deutscher.« Außerdem sei Mozart ja überhaupt erst in Deutschland groß rausgekommen, ob
ich das eigentlich wisse. Nein, natürlich nicht. Und wenn das Kolosseum nicht in Rom stünde, sondern
beispielsweise in München, so würde dort heute noch der FC Bayern München spielen, weil es dann nämlich immer noch tadellos in Schuss wäre.
Diese dialektische Form der Auseinandersetzung
mit Heimat und Wohnort findet ihren Niederschlag
auch im Umgang mit Behörden oder anderen Auto-
ritäten. Mit Hinweis auf seine Herkunft weigert An-
tonio sich beispielsweise seit vielen Jahren, in deutschen Ämtern eine Wartenummer zu ziehen, obwohl
er das natürlich kennt, weil man in Italien in jedem Supermarkt Wartenummern ziehen muss. Aber das
deutsche Einwohnermeldeamt hat davon ja keine
Ahnung.
In Termoli, dem Badeort, wo er seit sechsunddreißig Jahren mit Frau und Kindern Urlaub macht, hat er es 1973 zu kurzfristiger Berühmtheit gebracht, indem er sich darum kümmerte, dass die Bürger von Termoli
ausreichend mit Trinkwasser versorgt wurden.
Das kam so: Es war August und es war heiß, und
das Trinkwasser war abgestellt worden, weil die
Gemeinde befürchtete, dass es nicht ausreiche. Nie-
mand konnte sich waschen, das Geschirr abspülen,
etwas aus dem Hahn trinken. Drei Tage ging das so
und die Sache stank irgendwann buchstäblich zum
Himmel, bis Antonio Marcipane auf den Plan trat.
Seine Töchter an der Hand, marschierte er schnur-
stracks zum Bürgermeister von Termoli. Er trat in
dessen Büro und hielt dem Mann eine längere und
reichlich mit Drohungen verzierte Predigt, in deren Verlauf er mehrfach betonte, dass er aus Deutschland sei und dass es so eine verdammte Sauerei dort nicht gebe. Er habe es noch nie erlebt, dass deutsche Behörden mir nichts, dir nichts das Wasser oder den Strom abstellten, das sei absolut undiszipliniert und mies. Geradezu mafiose Zustände seien das und in
Deutschland würde so ein Bürgermeister abgewählt
und zum Teufel gejagt. Und sowieso: Er sei drei-
tausend Kilometer (Antonio-Zahl) gefahren, um hier
Urlaub zu machen, er habe dafür Geld bezahlt und
deshalb ein Recht auf Wasser.
Dann machte er eine Kunstpause und schob seine
Töchter nach vorne. Außerdem, fuhr er gedehnt fort, brauchten sie das Wasser dringend, seine Kinder hätten beide Typhus.
Antonio war noch nicht wieder zu Hause, da lief
das Wasser wieder, und zwar nicht nur bei ihm, son-
dern überall. Seine Heldentat machte schnell die
Runde, und so wurde er den Rest des Urlaubs überall eingeladen, wo er nur hinkam. Diese Geschichte
erzählt übrigens nicht nur er, sondern jeder in der Familie. Es muss also etwas dran sein.
Das Badeörtchen Termoli liegt an der Adria, und zwar ziemlich genau dort, wo die Spore vom italienischen Stiefel abbiegt. Von Campobasso aus ist es einfach zu finden, man muss eigentlich nur knapp hundert Kilometer weit die Berge herunterrollen. Auf meine Frage, wie lange wir für die Strecke brauchten, sagt Antonio ganz ernsthaft: »Dauerte so lange, wie einemal zum
Fußball gehen ohne Rückeweg.«
Auf der Fahrt passiert man unter anderem einen
sehenswerten Stausee, laut Antonio – natürlich – der größte der Welt. In diesem See dürfe man nicht baden, damit das Trinkwasser darin nicht verunreinigt wird, klärt mich Antonio auf. Und dass sich auch die meisten daran hielten. Er persönlich habe dort schon mehrfach geangelt, was zwar ebenfalls verboten,
aber ja nun nicht umweit schädlich sei.
Mitten auf dem See, der von einer Straße auf Stel-
zen überbrückt wird, müssen wir anhalten. Stau. Wir steigen aus und sehen in einiger Entfernung eine
Rauchsäule aufsteigen. Ein Unfall wohl, was da
brennt, ist ein Auto. Nach einiger Zeit löst sich der Stau auf und wir passieren den Unfallort, wo ein
größerer Lancia quer auf der Fahrbahn steht. Die
Feuerwehr winkt uns am Wrack vorbei. Der Lösch-
schaum umgibt den leise dampfenden Wagen wie
Zuckerwatte und tropft in riesigen Portionen in den Trinkwassersee. Keine große Sache. Wer das heraus-schmeckt, bekommt von Toni ein Eis.
Ich zuckle brav hinter Antonio her. Uns folgt Egi-
dio mit seiner Frau Maria und Sohn Marco, dahinter
Antonios älterer Bruder Raffaele mit Frau Maria. Au-
ßerdem ist
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