Maria, ihm schmeckts nicht!
nur der Verkäufer.«
Wenig später verschwindet er mit seiner gleich-
mütigen Frau und kommt nach einer guten Stunde
alleine zurück. Er hat einen Korb unter dem Arm, in dem sich ungefähr zwanzig Becher befinden, die er
nun den umliegenden italienischen Familien als eis-
gekühlte Toni-Bällchen anpreist. Die meisten Becher kaufen seine Geschwister, womit der Reingewinn
sozusagen familienintern von der einen in die andere Tasche wandert. Toni ist sehr zufrieden mit der
Ausbeute, aber der Stundenlohn gibt ihm zu denken.
Die Sache, so befindet er schließlich, taugt nur im großen Stil. Solange er die Bällchen selbst verkaufen muss, macht ihm die Angelegenheit keinen rechten
Spaß. Da er weder bei uns noch bei den Nachbarn
auf willige Arbeitskräfte trifft, schläft das Millionen-geschäft mit den eisgekühlten Toni-Bällchen rasch
wieder ein.
Ich hingegen schlafe kaum noch, denn mein Bett
erweist sich als untauglich zum Darinschlafen. Man
kann darin noch nicht einmal wach sein. Sara findet das nicht. Sie schlummert wie ein kleines Tier, während ich mich auf eine Luftmatratze in Krokodilform lege, die ich nun immer dabeihabe. Am Strand und
im Schlafzimmer ist das Krokodil mein ständiger
Begleiter.
Wenn die Marcipane-Sippe vom Meer kommt,
wird erst einmal geduscht. Bis sechzehn Personen
damit fertig sind, vergeht natürlich ein Weilchen, in dem mich Antonio über die italienische Politik
unterrichtet oder mir erzählt, wie er einmal beinahe zum Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Italiens gewählt worden wäre, wenn nicht die Intrige eines Gegners seine Kandidatur in letzter Minute ver-
hindert hätte.
Danach natürlich das Essen, das von den Frauen
gemeinsam gekocht wird. Als ich eines Abends dabei
helfen will, ist das Getuschel groß. Nicht einmal ab-waschen darf ich, was mir in der ersten Woche noch
unangenehm ist, danach nicht mehr so. Man passt
sich ja an. Später, zu Hause in Deutschland, wird
Sara ihre Einstellung in dieser Angelegenheit wieder ändern und mir erläutern, dass in Deutschland die
Uhren anders gehen.
Nach dem Essen ist es spät, Italiener spielen dann
in der Regel Karten oder sie gehen bummeln. Anto-
nio und seine Geschwister mochten am liebsten Po-
ker oder scopa. Das ist ein einfaches Kartenspiel, in dem es darauf ankommt, die meinen Stiche zu
gewinnen, sozusagen eine Mischung aus Mau-Mau
und Skat.
Wenn alle genug gespielt haben, geht man auf den
corso. Den corso gibt es praktisch in allen italienischen Städten, ganz gleich wie groß sie sind. Es handelt sich dabei um eine Straße, meistens auf einem
Platz von manchmal beträchtliche Ausmaßen. Fast
immer ist das Rathaus oder die Kirche nicht fern. Am Rande des Platzes lässt es sich nun ausgiebigst ent-langlaufen, immer vor und zurück und drum herum.
Die Geschäfte haben lange auf und Straßenhändler
verkaufen Schmuck oder kopierte CDs.
Antonio ist Weltmeister im Bummeln. Über den
corso zu gehen, bedeutet für ihn nirgendwo sein. Wie das geht? Gaaaanz langsam spazieren, noch langsamer, als im Auto zu fahren. Ein Eis kaufen. Unver-
mittelt stehen bleiben. Alles toll finden. Wieder ein Stück laufen. Und dabei reden. Umdrehen, ein Stück
zurücklaufen. Noch ein Eis, andere Sorten. Zum
Schaufenster vom Uhrengeschäft – Immer nett
grüßen. Buona sera. Aha, Straße zu Ende, wieder umdrehen. Ich kaufe an einem einzigen Abend sieben
Eis und kann mich beim besten Willen nicht daran
erinnern, wo ich eigentlich war.
Der corso ist für Italiener der Ort, an dem sie zeigen, was sie haben. Menschen jeder sozialen Schicht flanieren abends dort entlang und ich bin sicher,
dass die wichtigsten Entscheidungen des Lebens hier fallen. Die Jugendlichen sitzen in großen Scharen am Rande des corsos auf ihren Zweitaktmopeds undVes-pa-Rollern. Selbst kleine Kinder dürfen hier so lange herumlaufen, bis ihnen vor Müdigkeit das Eis aus
der Hand fällt, was man hin und wieder beobachten
kann, besonders bei Ilaria und Klein Antonio.
Man könnte seine Zeit natürlich sinnvoller ver-
bringen. Mal ein Buch lesen, zum Yoga gehen oder in einen Verein. Die Italiener, die ich kenne, machen sich nichts aus Vereinen jedweder Art. Brauchtumspflege
ist ihnen ebenso wurscht wie das Erlernen fremder
Sprachen oder die Mitarbeit in gemeinnützigen Or-
ganisationen. Sie schlendern lieber über den corso, das ist ihnen Verein genug. Man könnte dies als Igno-ranz geißeln, und damit liegt man nicht falsch, aber
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