Maria, ihm schmeckts nicht!
Arbeitskollegen aus dem Super-
markt, einer extrem nach Veilchen duftenden Tante
von Paolo, ihrem Gatten, meinen Schwiegereltern
und Marco an einem Tisch. Marco hat seine neue
Freundin mitgebracht, bei der ich mir allerdings
nicht ganz sicher bin, ob sie nicht vielleicht ein
verkleideter Herr ist, denn sie hat eine dunklere
Stimme als ich. Auf jedem Tisch steht Wasser, dazu
Weißwein und Rotwein in großen Flaschen.
Was denn nun geplant sei, frage ich Sara.
»Nichts«, sagt sie und zuckt mit den Schultern.
»Nichts?«
»Nichts. Nur essen.«
Eine italienische Hochzeit gleicht einer sozialen
Leistungsschau. Lange Tischreden vermeidend, geht
es eigentlich nur darum, den Gästen zu beweisen,
dass man genug Moos an den Füßen hat, um einhun-
dertfünfzig Personen so satt zu machen, dass diese
nicht mehr geradeaus laufen können. Es wird also gegessen, gegessen und gegessen, zwölf Stunden lang.
Das Ganze kommt mir so vor, als wolle Paolo sich bei seinen Verwandten für jede Hochzeit rächen, auf der er schon einmal eingeladen war. Das bekommt ihr alles zurück, scheint er sich gedacht zu haben. Eine gu-te Hochzeit unterscheidet sich hierzulande von einer schlechten eigentlich nur durch die Anzahl der Es-sensgänge.
Später erfahre ich, dass er sich für diese präpotente Geste verschuldet hat. Es existieren nämlich re-gelrechte Hochzeitskredite bei den Banken, damit
sich niemand die Bloße einer einfachen Vermählung
geben muss.
Ich hatte ja damit gerechnet, dass man wie bei uns
in Deutschland schwülstige Reden hört oder peinli-
che Szenen mit ansehen muss, in denen wohlmeinen-
de Freunde die wichtigsten Stationen des Bräutigams auf der Suche nach der richtigen Frau nachstellen,
was oft zu betretenden Gesichtern, mancherorts so-
gar zu deftigem Streit führt; dass rasch die Krawat-tenknoten gelockert werden und man viel Wein
trinkt, später mit dem Bräutigam eine Zigarre raucht und sich nachts auf dem Parkplatz übergibt. So
kenne ich das. Natürlich kommt es ganz anders.
Ich bin bereits nach dem fünften Gang, einem
gegrillten Fisch mit Fenchel, so satt, dass ich nicht einmal mehr eine Zigarette rauchen kann. Selber
Schuld, ich habe nämlich jedes Mal meinen Teller leer gegessen. Sara hatte mich zwar schon zu Hause gewarnt: »Nie alles aufessen, dann schaffst du es nicht.«
Da ich aber von Norma Anna so erzogen worden bin,
habe ich jeden mir vorgesetzten Teller brav geleert.
Ich habe Risotto und Nudeln, einen Cocktailsalat,
Lamm und Fisch im Bauch und nun kann ich nicht
mehr. Leider ist noch nicht einmal die Hälfte ge-
schafft. Während ich am sechsten Gang, einer klei-
nen, aber widerspenstigen Kalbsroulade, herumnage,
fällt mir auf, dass die Kellner nicht nur Kalbsrouladen bringen, sondern auch Alufolie. An allen Tischen wird nun damit geraschelt und gepackt. Es ist nämlich durchaus üblich, dass man das Essen mit nach
Hause nimmt, wäre ja auch schade drum. Das erklärt
wahrscheinlich auch die großen Handtaschen der
Damen.
Irgendwann zwischen dem siebten und dem neun-
ten Gang verschwindet mein Schwiegervater. Ursula
geht los, um ihn zu suchen, kommt jedoch nach ein
paar Minuten wieder, ohne ihn gefunden zu haben.
Was, wenn er einen Herzinfarkt auf dem Klo hatte?
Oder in der Küche mit dem Koch streitet? Sara fragt den Fotografen Anselmo, doch auch er hat Antonio
nicht gesehen.
»Kannst du mal nach ihm sehen?«, bittet mich Sara,
die sich ernsthafte Sorgen macht, weil Antonio schon einmal verloren gegangen ist.
Damals machte er mit Ursula eine Busreise nach
Wien und verschwand bei Nürnberg auf dem Rast-
platz. Stunden später, Ursula war schon ganz aufge-
löst und hatte die Polizei eingeschaltet, rief er bei Sara und mir an. Seine Stimme klang, als sei er im
Weltraum, aber er war nicht im Weltraum, sondern
in Prag. Nach der Pinkelpause war er nämlich in den falschen Bus eingestiegen und mit einem Kegelclub
aus Wiesbaden nach Tschechien gefahren. Die Leute
seien so nett gewesen, erzählte er hinterher. Deshalb habe er gar nicht gemerkt, dass er im falschen Bus
saß. Im Übrigen sei Prag viel schöner als Wien, und da müsse Ursula mal hin, das lohne sich wirklich.
Ich suche also nach Antonio in der Küche, auf dem
Parkplatz, in einer benachbarten Bar und schließlich auf dem Herrenklo, wo ich aber nur zwei kleine
Jungs beim Rauchen erwische.
Schließlich gehe ich an Saal eins vorbei, wo die andere Gesellschaft feiert. Und wen sehe ich da?
Weitere Kostenlose Bücher