Maria, ihm schmeckts nicht!
mehr?«
Darauf Nonna Anna im Lamento: »Maria, ihm
schmeckt’s nicht.«
Fatalerweise hat sie da ausnahmsweise Recht. Was
mache ich denn jetzt? Ich bitte Antonio, für mich zu schwindeln, und sage: »Es tut mir Leid, ich kann
nicht. Ich kann das nicht. Bitte sag ihr einfach, ich hätte keinen Hunger.«
Antonio übersetzt ihr selbstverständlich, ich hätte gesagt, es schmecke mir nicht. Na prima, vielen Dank!
Nun ist Nonna Anna beleidigt. Aber ich kann es
nicht ändern. Immerhin geht das Spielchen erstmals
zu meinen Gunsten aus.
Am nächsten Morgen ist Antonio sterbenskrank. Er
hat sich wohl an dem Meereszeug den Magen ver-
dorben und erklärt sich für transportunfähig. Den
ganzen Tag sitze ich mit meiner gepackten Tasche im Wohnzimmer herum und trinke den Kaffee, den
Nonna Anna mir macht. Sie ist übrigens kregel und
kerngesund, der Tintenfisch hat ihr nichts angetan.
Auch ist sie mir nicht mehr böse, wohl weil sie ihre ganze Kraft jetzt für Antonio braucht. Dieser wird
eingehend von dottor Neri untersucht, der irgend so etwas wie einen Eiweißschock diagnostiziert und
zwei Tage Bettruhe verordnet. Ich rufe zu Hause an
und bitte Sara, für mich Urlaub zu nehmen.
Ich setze mich zu Antonio ans Bett.
»Du Gauner, du willst bloß nicht nach Hause«,
flüstere ich ihm zu, um ihn zu trösten.
»Stimmte, hatter liebe Gotte gemachte eine Situa-
tion, dasse wir sinde zusamme hier. Morgen ich wer-
de dir etwas zeigen, da gehen wir los.«
»Morgen gehst du nirgendwohin, da liegst du
krank im Bett.«
»Ich musse dir zeige, iste wichtig für mich und für dich ebeneso.«
Dabei schaut er mich aus seinen Taschenlampen-
Augen waidwund an und legt die Stirn in Falten wie
der Wackeldackel auf seiner Hutablage. Ich gehe
früh schlafen und drehe vorher das Bild des weinen-
den Jungen um.
Sechs
Ich werde Zeuge einer Wunderheilung. Kaum dass ich
meinen Urlaub eingereicht habe, ist mein Schwieger-
vater wieder putzmunter. Nach Ansicht von Nonna
Anna ist dafür Padre Pio verantwortlich, der gütigerweise seine Magenprobleme beseitigt hat. Bereits am Abend verdrückt Antonio mit großem Appetit einen
Teller Nudeln und danach mehrere Scheiben Schin-
ken und Oliven mit Crackern.
Nonna Anna hat ihm übrigens vorgeschlagen, mit
ihr im Schlafzimmer zu übernachten. Das möchte er
jedoch nicht. Er könne unmöglich auf der Bettseite
seines Vaters schlafen, erklärt er mir irgendwann in der Nacht, als er im Pyjama in der Tür steht. Mein
Angebot, neben mir zu schlafen, schlägt er aber aus, überprüft, ob das Fenster auch geöffnet ist, und läuft dann für den Rest der Nacht in der Wohnung umher.
Am Morgen ist er schon lange angezogen, als ich
wach werde.
»Wir gehene in die Stadt«, verkündet er, während
ich meinen Morgenkaffee trinke.
Also brechen wir auf. Zielstrebig marschiert Anto-
nio die Straßen der Neustadt hinauf, immer Rich-
tung Castello Monforte. Das liegt auf der Spitze des Berges, an dem sich die Häuser von Campobasso
festhalten, um nicht fortgeweht zu werden. Campo-
basso ist von der Ferne nur zu sehen, wenn man sich der Stadt aus südlicher Richtung nähert. Die Nordseite des Berges ist zu steil, um dort Häuser zu bau-en, also erblickt man von weitem nur die Burg, die
dann einsam über die umliegenden Hügel zu wachen
scheint. Auf der Südseite ist der Berg voll gebaut mit kleinen bunten Häuschen. Dorthin zieht es Antonio.
Mit seinen kurzen Beinchen hastet er durch die Via
Petiti und bleibt endlich in der Via Orefici stehen.
»Hier iste«, sagt er und dreht sich zu mir um.
»Hier ist was?«, frage ich.
»Porta Mancini, alte Tore zu Stadt.«
»Na und?«
»Ich zeige dir was.«
Er läuft weiter durch das Stadttor, wo das histo-
rische Campobasso beginnt. Es ist ein vollkommen
anderes Universum, das mit der verbauten und zu-
betonierten Stadt da unten gar nichts zu tun hat. Es ist Antonios Welt, ein labyrinthisches Gebilde aus
engen Gassen und feucht aussehenden Häusern, de-
ren Stromleitungen einst außen verlegt wurden und
wie Wäscheleinen an den Häusern baumeln. An
manchen hängt auch wirklich Wäsche.
Immer weiter geht es hinauf, ich habe längst die
Orientierung in den Gassen verloren. Unsere Schritte auf den steinernen Wegen hallen von den gelben und
grauweißen Wänden. Schließlich stehen wir vor einem schmalen Haus, das neben anderen nur über eine enge steinerne Treppe zu erreichen ist. Über der Tür steht in verblichenen Buchstaben:
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