Maria, ihm schmeckts nicht!
eines mit einem schönen Blick über die Dächer (»tetti«). Gemessen daran bin ich bisher noch ziemlich unfallfrei
durch den italienischen Sprachraum gefahren.
Am nächsten Morgen bringen wir die Kommode zu
Marco, der gerade mit einunddreißig Jahren bei sei-
nen Eltern ausgezogen ist und dieses Stück deutscher Wertarbeit gut gebrauchen kann. Die Geschichte mit
dem Mannweib ist übrigens vorbei. Auf meine Frage,
wie es ihr gehe, antwortet Marco mit einer diplo-
matischen Floskel. »Sie hatte nicht die richtige Einstellung«, sagt er, was ziemlich viel offen lässt. Ich verkneife mir weitere Nachfragen und wir machen
uns an der Kommode zu schaffen.
Die wurde offenbar von Rübezahl persönlich aus
einem Eichenstamm handgedengelt. Auf den schma-
len Seiten sind als kunstvolle Schnitzereien historische Städteansichten von Mainz und Frankfurt am
Main zu sehen, die Längsseiten werden von altdeut-
schen Märchenmotiven verziert. Man erkennt aller-
hand Zwerge, Pferde und Prinzessinnen. Ich habe
fast den Eindruck, dass die auch alle in der Kiste drin sind, denn sie wiegt etwa vierhundert Kilo.
In Marcos Haus gibt es einen Fahrstuhl mit einem
Münzeinwurf. Nur wer fünfhundert Lire einwirft,
kann mit dem Ding fahren; damit wird verhindert,
dass die zahlreichen Kinder der Nachbarschaft stän-
dig den Aufzug kaputtmachen. Der Lift ist natürlich zu klein für die Kommode, also müssen wir sie zu
Fuß nach oben bringen. Zum Glück wohnt Marco im
fünften und nicht wie von Antonio angekündigt im
sechsten Stock. Oben angekommen, passt das Teil
schließlich nicht durch die Wohnungstür.
Meine Frage, wieso man denn nicht vorher aus-
gemessen habe, ob es zu groß ist, trifft allenthalben auf Schulterzucken. Fünftausend Kilometer (Antonio-Zahl) für nichts und wieder nichts. Das sieht
Antonio naturgemäß anders. Er schlägt vor, den
Boden aus der Kommode zu entfernen und dann et-
wa fünfzehn Zentimeter ringsum abzusägen, um an-
schließend den Boden wieder einzuschrauben. Eine
fantastische Idee, finden alle. Also tragen wir die Kommode wieder die Treppe runter, denn für Sä-
gearbeiten aller Art ist Gianluca zuständig, er arbeitet nämlich als Sargtischler in der Schreinerei neben dem Friedhof, was sich wiederum gut trifft, weil
man so auch noch Calogero besuchen kann.
Kommode, Schwiegervater, Marco, Egidio und ich
wieder rein ins Auto, dessen Fond bedrohlich über die Straße schleift, und ab zum Friedhof. Dort übergeben wir die Kiste an Gianluca und gehen an Opa Calogeros Grab. Inzwischen sind alle Fächer in dessen Wand gefüllt, man hat sogar schon wieder eine neue begonnen. In Campobasso wird viel gestorben. Nachdem
wir uns alle darüber ausgetauscht haben, wie schön
die Mauer ist, die Calogero weiland erhielt, bekreuzigen wir uns und kehren zurück in die Schreinerei.
Als wir ankommen, ist halb Mainz von der Truhe
verschwunden. Ungerührt sägt Gianluca Schnee-
wittchen in der Mitte durch und enthauptet einen
Zwerg, der mit einem Häschen tanzt. Solche Petites-
sen kümmern meine Leute nicht, beherzt rückt der
Cousin noch dem Frankfurter Römer zu Leibe, dann
kommt eine neue Spanplatte drunter und kaum ein
Stündchen später ist Marco stolzer Besitzer einer ni-gelnagelneuen Kommode aus Deutschland.
Eigentlich könnten wir jetzt noch etwas essen,
vielleicht noch über den Corso Vittorio Emanuele
latschen, schön schlafen und danach nichts wie zu-
rück mit dem leeren Auto. Aber daraus wird nichts.
An diesem Abend verweigere ich erstmals seit mei-
ner Kindheit total und stur die Nahrungsaufnahme.
Es gibt eine regionale Spezialität, nämlich gekochte kleine Tintenfische mit Erbsen. Ich mag keine Mee-resfrüchte und Tintenfische schon gar nicht. Alles, was glitscht, ist nicht mein Ding. Ich probiere es ja, stopfe mir den Mund voll mit Erbsen, Tentakeln
und den Geschmack neutralisierendem Weißbrot und
würge drei große Löffel hinunter. Aber mein Schlund zieht sich zu, schon der warme, leicht spermatische Geruch lässt mich satt werden. Also schiebe ich den Teller weg und trinke einen großen Schluck.
»Was ist mit ihm?«, fragt Nonna Anna.
»Was iste, liebe Jung?«
»Nichts, nichts.«
Nonna schaltet sich ein: »Bestimmt schmeckt es
ihm nicht.«
Ich wehre matt ab: »Doch. Schmeckt. Gut.«
»Ich sehe es dir doch an.«
Mir egal. Ich sage nichts. Maria, die bisher stumm
gegessen und dem Fernseher zugehört hat, fragt:
»Hast du keinen Hunger
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