Maria, ihm schmeckts nicht!
»Hallo, kennst du mich noch?«
»Pssst!«
»Schau doch mal zu mir.«
»Nein.«
»Bitte.«
Da drehte sie sich um und er sah ihr Gesicht so
nah, dass er vor Schreck beinahe die Besinnung
verlor. Sie war noch viel schöner, als er sie in
Erinnerung hatte.
»Willst du mich heiraten?«
»Du bist wohl verrückt.«
Er schämte sich für seinen sizilianischen Dialekt
und für seinen blonden Schopf, der in Campobasso
genau so exotisch war wie rote Haare oder schwarze
Haut.
»Lass mich in Ruhe.«
»Mein Name ist Calogero«, startete er flüsternd
einen neuen Versuch.
»Das weiß ich.«
Sie wusste es?
»Mein Vater sagt, dass du für einen Sizilianer
fleißig bist.«
Calogero überhörte die Beleidigung und berührte
Annas Haar.
»Hör sofort auf damit!«
»Kann ich dich wiedersehen?«
»Nein.«
Calogero hielt es für besser, seine Taktik zu än-
dern, und blieb für den Rest des Gottesdienstes ru-
hig. Als dieser zu Ende war, drehte sich Anna um.
Sie hatte die ganze Zeit gehofft, dass er sie noch
einmal ansprach. Aber Calogero war verschwunden.
Jeden Sonntag wiederholte sich das Spiel. Unter
den missbilligenden Blicken der Umsitzenden flüs-
terten Anna und Calogero und kamen sich auf diese
Weise zwangsläufig immer näher, bis Berührungen
nicht mehr zu vermeiden waren.
Nach ein paar Wochen sahen sie sich auch außer-
halb der Kirche San Giorgio. Annas Schwester Maria
organisierte das Treffen in einem Winkel unterhalb
der Burg. Es war ein verschwiegener Ort, denn
niemand kam für gewöhnlich auf die Idee, zur Burg
hochzugehen, wo kaum ein Strauch wuchs, weil das
ganze Jahr dort ein heftiger Wind wehte. Calogero
und Anna mussten nicht mehr flüstern, sie sprachen
stattdessen gar nicht mehr.
»Soll das vielleicht heißen, die haben geknutscht?«, unterbricht Daniele, der Wirt.
»Was heißt schon geknutscht? Sie haben keine
Worte für ihre Liebe gebraucht, das soll es heißen.
Bring mir einen Campari und misch dich nicht ein.«
Das Geheimnis des Paares kam natürlich irgendwann
heraus und angeblich soll Anna für ihr Verhältnis
mit Calogero fürchterliche Prügel bekommen haben.
Aber das bestärkte sie nur umso mehr in ihrer Liebe zu dem Sizilianer, der jede Demütigung aushielt und sich keine Beleidigung jemals anmerken ließ.
Als Calogero nach einem Jahr um ihre Hand an-
hielt, beschimpfte ihr Vater ihn eine Stunde lang mit den wüstesten Tiraden und stieß die schlimmsten
Flüche aus, als wolle er ihn prüfen. Calogero verzog keine Miene. Er schlug nicht zu, er antwortete nicht.
Er stand nur da und bestand den Test. Als der alte
Scalfero schließlich einsah, dass er nichts gegen diese Verbindung ausrichten konnte, gab er ihr schweren
Herzens seinen Segen und eine Bürde mit ins
Eheleben. Denn im Gegensatz zu Annas Schwestern,
die in der sozialen Rangordnung aufgestiegen waren
und dafür mit großen Mitgiften ausgestattet wurden, hatte Anna einen Schritt nach unten gemacht, zu den Tagelöhnern, Zigeunern und Nichtsnutzen von der
Nordseite. Sie bekam eine lächerlich geringe Aus-
steuer, die eher eine symbolische Bedeutung hatte,
nämlich die einer Beleidigung.
Calogero begab sich auf die Suche nach einem
Haus für seine Familie. Auf der Nordseite des Berges gebe es etwas, sagten ihm seine Freunde, doch da
wollte er nicht hin. Eines Tages nahm er seine inzwischen schwangere Frau mit und sie gingen durch die
Gassen der Südstadt, hoch und höher, bis man ein
Stück Himmel sehen konnte. Vor einem gelben Haus
blieb er stehen und sagte: »Herzlich willkommen im
Vico Vaglia.«
Es war eine Unverschämtheit, eine Provokation,
dass der Sizilianer mitten in der Stadt ein Haus
gekauft hatte. Und wer wusste schon, wovon er es bezahlt hatte. Womöglich mit Mordaufträgen, Überfäl-
len, Raubzügen. Vom ersten Tag an musste Calogero
die Vorurteile seiner Nachbarn ertragen. Er kämpfte nicht dagegen an. Er ging ganz ruhig aus dem Haus,
arbeitete weiter auf dem Feld und ließ die Idioten
ihre spöttischen Sprüche machen. Tatsächlich hatte
er niemanden umgebracht oder ausgeraubt, um das
Haus zu kaufen. Er hatte sich Geld geliehen, und
zwar bei Scalfero – ohne dass dieser es wusste.
Zu den vielen Geschäften, die Scalfero betrieb, ge-
hörte auch das Verleihen von Geld. Seine Zinsen wa-
ren günstiger als die der Bank in der Stadt, wohin
ohnehin niemand vom Land gerne ging, um mit
schmutzigen Fingernägeln um einen Kredit zu
bitten. Die meisten
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