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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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Bauern liehen sich ihr Geld also bei Scalfero, und dies keineswegs, um davon neue
    Geräte für ihre Höfe oder Futtermittel zu kaufen.
    Vielmehr gaben sie es zu weitaus ungünstigeren
    Konditionen an ihre Arbeiter weiter. Calogero hatte eine halbe Hundertschaft von Bekannten um Kredite
    gebeten. Diese wiederum mussten sich das Geld
    leihen und fragten darum bei ihren Bauern, die dafür Scalfero anzapften, der gerne und reichlich gab. Auf diese Weise verschuldete sich Calogero bei seinem
    eigenen Schwiegervater, den er niemals persönlich
    um Geld gebeten hätte.
    1934 kam Raffaele auf die Welt und vier Jahre spä-
    ter Antonio. Es folgten noch sechs weitere Geschwister, die allesamt in den drei Zimmern des Hauses im VicoVaglia geboren wurden, wo zudem noch der Vater von Calogero lebte, Alfredo Marcipane, der sein Bein auf dubiose Weise bei einem Kampf in Kalabrien verloren und daraufhin sein Leben dem Wein ge-
    widmet hatte.
    Antonio teilte ein Etagenbett mit dem amputierten
    Großvater, der Tag und Nacht nach Alkohol stank
    und über ihm liegend grunzte und röchelte, wenn er
    seinen Rausch ausschlief. Antonios Matratze war mit Maisblättern gefüllt, in denen Wanzen hausten, die
    des Nachts hervorkrochen, um Antonio zu beißen
    oder an dem Beinstummel des Alten zu nagen, der
    davon in seinem Suff nichts merkte, bis sich das Bein irgendwann entzündete und ein Stück weiter oben
    noch einmal abgeschnitten wurde, was dem Alten
    den schönen Beinamen »die Rebe« eintrug, weil er
    wie eine Weinrebe beschnitten war. Antonio litt
    unter dem Ungeziefer weit mehr als sein Großvater,
    denn diesem war sein Bein egal, solange Anna noch
    Wein dahatte. Die Biester waren nicht zu vertreiben und nicht auszurotten. Wenn Antonio eines zu
    fassen bekam, zerdrückte er es zwischen Daumen
    und Zeigefinger oder er fütterte die Katze damit. Er schwor sich, eines Tages in einem richtigen Bett zu liegen und vorher dieses Haus mit all seinen
    Spinnen, Käfern, Wanzen, Asseln und Ratten abzu-
    brennen.
    Das Haus der Marcipanes hatte kein fließendes
    Wasser, deshalb auch keine Badewanne, und Strom
    schon gar nicht, offiziell jedenfalls. Calogero zweigte ihn heimlich von einer der Leitungen ab, die am Haus entlangliefen. Jahrelang versorgte er seine Familie auf diese Weise mit Elektrizität, die allerdings nur für funzelige Lampen verwendet wurde. Nicht einmal
    ein Radio hatten die Marcipanes. Wichtige Ereignisse erfuhr man beim Bäcker oder durch Plakatanschläge
    an den Haus wänden der Via Ziccardi.
    Das Wasser holten die Kinder mehrmals am Tag
    aus einem Brunnen, der einige Häuser weiter aus
    einem steinernen Löwenkopf sprudelte und drei
    Straßen versorgte. Antonio bemühte sich, so wenig
    wie möglich zu Hause zu sein, denn dort war es
    dunkel und rußig, weil die Feuerstelle schlecht zog und der Qualm in den Wänden hängen blieb. Es
    machte ihm also nichts aus, wenn die Mutter ihn
    nach dem Wasser schickte. Ansonsten verbrachte er
    den Tag in den Gassen und Sträßchen, die sich wie
    ohne System zwischen den Häusern entlangzogen,
    mal steil bergauf führten, dann wieder fast senkrecht in die Tiefe, dabei niemals gerade, sondern kreuz
    und quer, wie das in Orten ist, die nicht geplant
    werden, sondern sich einfach ausbreiten, wie es
    ihnen gefällt.
    Calogero Marcipane hatte wenig Zeit für seine
    Familie. Er nahm jede Arbeit an, er machte, was
    immer man von ihm verlangte und wofür man ihn
    bezahlte. Wer Geld hat, lautete seine Maxime, der ist frei. Er hatte überhaupt kein Geld, und wie jeder
    Mensch, der sich in Gefangenschaft befindet, bestand sein größter Traum darin, als freier Mann durch die Stadt zu gehen und respektiert zu werden. Damit
    war jedoch nicht zu rechnen. Selbst wenn er eines
    Tages alles zurückgezahlt hatte, würde er die miss-
    billigenden Blicke der anderen ertragen müssen.
    Seine sizilianische Herkunft machte ihn zum Außen-
    seiter, daran war nicht zu rütteln.
    Er wurde Faschist, schloss sich also der Bewegung
    an, in der auch der Geringste noch eine Rolle spielen darf. Als Mitglied dieser Gruppe war Calogero wenn
    schon nicht angesehen, dann doch wenigstens ge-
    fürchtet. Er hatte keine Angst und ging keiner
    Auseinandersetzung aus dem Weg. Oft genug kam
    er mit einer blutenden Nase nach Hause, die Anna
    dann versorgte, während die Kinder im Halbdunkel
    der Lampe Vaters Schilderungen seiner Schlägereien
    aufgeregt zuhörten. Es waren vor allen Dingen die
    Kommunisten aus dem Stadtviertel

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