Maria, ihm schmeckts nicht!
die Glücksfee
in die Kugel, um dort dicke Plastikbälle herauszu-
fischen. Wenn sie einen herausgenommen hat, hält
sie ihn erst in die Höhe und überreicht ihn an eine wie immer im italienischen Fernsehen besonders
schöne Frau, welche den Ball dann begeistert an eine zweite Dame weitergibt. Diese öffnet nun langsam
den Ball und entnimmt ihm die eigentliche num-
merierte Glückskugel.
Der feierliche Charakter dieser Handlung erinnert
mich schwer an die Auslosung der Paarungen im
DFB-Pokal. Nach jeder Kugel wird lang und anhal-
tend geklatscht, gerade so, als habe das Kind soeben das Wunder des Raum-Zeit-Kontinuums entdeckt. Es
sei eine große Ehre, heißt es, wenn man die Lottozahlen ziehen darf. Es sehen ja auch Millionen Menschen dabei zu. Nach der Ziehung – Antonio hat mit seinen Geburtstagszahlen drei Richtige, Egidio und die anderen keine einzige – bleibt der Fernseher an. Eigentlich läuft er sowieso die meiste Zeit, denn es gibt immer irgendetwas Lautes und Buntes – und dafür sind Italiener extrem empfänglich. Es ist kein Zufall, dass sie so gerne aufs Münchner Oktoberfest gehen und von
dort mit Vorliebe rosafarbene Plüschelefanten mit
nach Hause bringen.
Farbiger Krach ist sozusagen die Leimspur, an der
italienische Familien kleben bleiben. Und den
meisten farbigen Krach gibt es nun einmal im italienischen Fernsehen, das nicht zu Unrecht als imper-
tinente Verblödungsmaschine gilt. Die vielen Sender des Ministerpräsidenten betäuben sein Volk ohne
jede Scham oder Unterbrechung. Es gibt Morgen-
shows, Mittagsshows und Abendshows, denen
häufig auch noch Nachtshows folgen – oder gut
abgehangene Filme mit Bud Spencer.
Bereits zum Frühstück steigen blonde Urfrauen, die
nie zu viel anhaben, von blinkenden Showtreppen
herab, um dann mit kleinen dicken Männern um die
Wette zu singen. Auffällig an den Moderatoren des
italienischen Fernsehens ist neben ihrem ausgesucht albernen Aufzug auch, dass sie ständig tanzen.
Wann immer ein Sketch oder ein Gespräch beendet
ist, gibt es ein kurzes Tänzchen.
Den Höhepunkt der Fernsehwoche bildet natür-
lich die Samstagabendsendung, die gut und gerne
drei Stündchen dauern kann. Der Moderator sieht
aus wie die Mischung aus einem Nacktmull und
Landeshauptmann Haider und schreitet pro Stunde
genau sieben Mal die Treppe hinunter, nämlich nach
jeder Werbepause. Das macht ihm so viel Freude,
dass er dabei auch noch singt. Ansonsten tanzt er
drei Mal, spielt in vier Sketchen mit und unterhält sich mit anderen Showstars, die rein zufällig in seine Sendung schneien und – erraten! – singen und tanzen. Nonna Anna nimmt dies alles mit versteinerter
Miene zur Kenntnis.
Plötzlich verlöschen die Scheinwerfer im Saal. Es
wird ganz still, dann ein einsamer Lichtkegel. Haider steht an einem Tisch und schlägt ein großes Buch auf.
Im Hintergrund beginnt dabei eine Filmsequenz, die
keinen kalt lässt. Bilder von Kindern mit aufgeblähten Bäuchen, hoffnungslose Dürre, vom Krieg ver-
stümmelte Männer und Frauen, danach Hochwasser,
Erdbeben, Vulkanausbrüche und Menschen ohne Ob-
dach. Geigenmusik. Der Moderator liest mit stocken-
der Stimme die Chronologie der letzten Ereignisse,
die unsere kleine, kleine Erde erschüttert haben. Seine Augen füllen sich mit Tränen, er schüttelt langsam
den Kopf und klappt das Buch mit einem don-
nernden Knall zu, den die Tonregie einspielt. Kurze Stille, dann – hey! – gehen alle Lichter an, die Bühne blitzt perlmuttfarben und von hinten taucht ein mit einem weißen Zylinder bekleideter blonder Feger auf und bringt gleich noch einen Hutständer mit, um den sie mit dem Moderator ein erotisch angehauchtes
Tänzlein wagt.
Die Lieblingssendung von Nonna Anna heißt La
Speranza, was »Die Hoffnung« bedeutet. Dabei handelt es sich um eine südamerikanische telenovela, die in den vierziger Jahren auf dem Lande spielt. Also
genau wie Nonnas eigenes Leben. Ununterbrochen
müssen in dieser Serie junge Männer zum Militär und verabschieden sich mehr oder weniger dramatisch
die ganze Folge lang von ihren Müttern, Schwestern
und heimlichen Geliebten. Ständig wird geweint.
Und natürlich gesungen. Eine Showtreppe hat diese
Serie zwar nicht, aber dafür einen Bahnhof, an dem
ständig Darsteller abreisen und neue ankommen.
Nonna Anna sitzt in ihrem Sessel und trägt eine
Baseballkappe, damit sie nicht vom Deckenlicht ge-
blendet wird. Ihre Hand umschließt die
Weitere Kostenlose Bücher