Maria, ihm schmeckts nicht!
Calogero
sein Parteiabzeichen in den Ofen und meldete sich
freiwillig als Minensucher bei den Amerikanern. Er
hatte keine Furcht vor Minen und ein gutes Gespür
für die Gefahr, dennoch war es Antonio, der seinem
Vater das Leben rettete.
Einmal nämlich wurde Calogero, der mutige Sizi-
lianer, wie er inzwischen zumindest in der Nähe des Vico Vaglia genannt wurde, zu einer amerikanischen
Bombe gerufen, die es zu entschärfen galt. Antonio
wollte mit, doch er trödelte und bummelte, so dass
Vater und Sohn erst mit Verspätung loszogen.
»Kannst du jede Bombe verzaubern?«, fragte An-
tonio, der seinem Vater schon oft dabei zugesehen
hatte, wie er Minen aufgespürt, Granaten unschäd-
lich gemacht und Bomben entschärft hatte.
»Vielleicht nicht jede, aber die meisten schon.«
»Es ist gefährlich. Warum machst du das?«
»Weil es sonst keiner machen will. Weißt du, man-
che Menschen verdienen ihr Geld nun einmal mit den
Sachen, für die sich andere zu fein sind. Merke dir eines: Wir Marcipanes sind geboren für die Drecks-arbeit.«
Dann lachte er und legte eine Hand um Antonios
Schulter.
Als sie eine Weile schweigend nebeneinander her-
gegangen waren, fragte Antonio: »Und wenn wir
hier weggehen? Wenn wir nach Amerika gehen?«
»Ach, schlag dir das aus dem Kopf. Was sollen wir
in Amerika? Wir bleiben hübsch hier, und wenn ich
viele Bomben entschärft habe, bin ich reich und
kaufe dir eine richtige Sahnetorte. Bis es so weit ist, müssen wir uns eben mit Orangen begnügen.«
Er ging in das Obstgeschäft an der Porta San
Paolo und kaufte zwei Orangen, die er mit seinem
Taschenmesser auf einer Mauer sitzend schälte. Da
Calogero fand, dass er zu wenig Zeit mit seinen Kindern verbrachte, blieben sie einfach zehn Minuten
sitzen und aßen schweigend. Als sie schließlich wie-tergingen, hörten sie in einiger Entfernung eine Ex-plosion. Die Bombe war hochgegangen, als einer der
Polizisten sie berührte. Er hatte sich offenbar beim Warten auf den Mineur Marcipane gelangweilt und
nach amerikanischer Art ein Streichholz an der
Bombe anzünden wollen. Außer dem Polizisten gab
es fünf mehr oder minder schwer Verletzte. Wenn
Calogero früher da gewesen wäre, hätte er sie
berührt. Nur sein Sohn hatte ihn davor bewahrt.
»Die Bombe konnte man bis Ferrazzano hören!«, ruft
Antonio so laut, dass sich ein paar alte Frauen nach uns umdrehen. Daraufhin lüftet er den Hut und sagt:
»Verzeihung. Marcipane. Guten Tag.«
»Morgene ich erzähle dir von de Beamte Bertone
und seine Frau«, wendet er sich wieder an mich.
»Warum erst morgen? Das kannst du mir doch
genauso gut jetzt gleich erzählen.«
»Jetzte gleich musse Lotto spielen, meine liebe
Jung.«
Lotto spielen gehört in der Familie meiner Frau zu
den wichtigsten Tätigkeiten überhaupt. Es geht ihnen allen weniger um die Aussicht auf große Reichtümer, sondern um die Tätigkeit an sich, um das Gequassel im Tabakladen, um die Ziehung der Lottozahlen im Fernsehen, um das große Ganze, wie Marco mir am Abend
zu erklären versucht, als wir uns vor dem Fernseher versammeln, um zu verfolgen, ob heute ein Marcipane reich wird. Lotto, so lerne ich, ist der Gottesdienst derjenigen, die in der Kirche zu wenig Münzgeld
haben, um jeden Tag eine Kerze aufzustellen.
Wie eine rituelle Handlung geht das Hochamt der
Spieler, die Ziehung der Lottozahlen, vonstatten. Es gibt nicht wie in Deutschland nur eine Reihe von
Glücksnummern, sondern eine für jede Region, seit
vor ein paar Jahren Verbrecher die Kugeln mani-
pulierten und auffallend oft Spieler aus Neapel
gewannen.
Onkel Egidio führt ein grünes Notizbuch, in dem er
sämtliche Zahlen festhält, auch die aus Turin oder
Rom. Er analysiert die Häufigkeit der Zahlen und
spielt so mit dem in der Familie gefürchteten Egidio-System. Gefürchtet ist dies aber nicht etwa deshalb, weil es ihn häufig triumphieren lässt, sondern weil es schon seit zwei Jahren nichts mehr gebracht hat.
In Italien werden die Lottozahlen vor Publikum
von einem etwa vierzehn Jahre alten dicken Mädchen
gezogen, das unglücklich hinter einer Glaskugel steht.
Sie bekommt eine Augenbinde aus schwarzem Tuch
um den Kopf, was die ganze Sache ziemlich un-
heimlich wirken lässt, zumal hinter ihr ein mit einer Maschinenpistole bewaffneter Paramilitär steht. Es
sieht weniger nach einer harmlosen Glückszahlen-
ziehung aus denn nach einem Erschießungskomman-
do. Dementsprechend zögerlich greift
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