Maria, ihm schmeckts nicht!
nördlich der Via
San Abate, mit denen man sich prügelte, diese Car-
duccis und die Lazzaris, die es nicht besser wussten und dafür eins auf die Schnauze bekamen. Calogero
war mitnichten ein überzeugter Faschist, dafür fehlte ihm der politische Eifer. Viel eher trieb ihn die
Sehnsucht nach Anerkennung dem Duce zu, den er für seine Stärke und für die schönen Uniformen be-wunderte.
Calogero konnte sich keine Uniform leisten, aber
ein Abzeichen, das er mit Freude auch dann noch
trug, als er in den Krieg ging und seine Frau mit inzwischen fünf Kindern und Großvater Alfredo
zurückließ. Er hatte sich freiwillig gemeldet, weil er glaubte, so den Ort seiner Stationierung mitbestim-men zu können. Doch so weit ging sein Einfluss
nicht.
Calogero wurde in Afrika eingesetzt und erlebte
den Tod seines Vaters nicht. Der starb, weil er mit einem Bein nicht rechtzeitig die Treppe hinunterkam,
als alle anderen in den Keller des Musiklehrers Scarperi liefen, um sich vor einem Bombenangriff der
Amerikaner in Sicherheit zu bringen. Scarperi war
nicht unbedingt wegen seiner großen Musikalität im
Viertel beliebt, sondern weil sein Haus als einziges einen mutmaßlich bombensicheren Keller besaß, in
welchen er bei Angriffen aus der Luft zu einer musi-kalischen Matinee lud. Scarperi spielte dann immer
kleine Geigenstücke von Paganini, ohne dabei auch
nur annähernd die richtigen Töne zu treffen, was er gegenüber dem Metzger Baffone, der sich mit Musik
leidlich auskannte und ein Grammophon besaß,
damit entschuldigte, dass seine Geige erstens nur
zwei Saiten habe und er zweitens in diesem dunklen
Unterschlupf seine Noten nicht lesen könne. Und
falls ihm, Baffone, dies nicht passe, so könne er gerne nach draußen gehen.
Eine amerikanische Bombe beendete sowohl das
Streichkonzert des Musiklehrers Scarperi als auch
das Leben von Großvater Alfredo. Sie traf das Haus
gegenüber des Vico Vaglia Nummer neun just in
dem Augenblick, in dem Alfredo auf die Straße trat, um zu Scarperi hinüberzulaufen. Anna hatte es nicht vermocht, ihn aus seinem Ausnüchterungsschlaf zu
wecken, und war mit schlechtem Gewissen, die
Kinder auf dem Arm und an der Hand, die Stufen in
Scarperis Keller hinuntergerannt.
Antonio fand die Leiche zwischen den Trümmern
des Nachbarhauses, nachdem sie aus dem Keller
gekrabbelt waren, und sein erster unchristlicher Gedanke galt seiner Erleichterung. Kein Röcheln mehr, kein Schnaufen, kein Furzen in der Nacht.
»Hatte keine schlechte Gewissen, weißte du«, sagt
Antonio und starrt auf sein Glas. Das Bild des toten Alten scheint ihm nachzuhängen.
»Hattest du Angst vor den Bomben?«
»Nein, hatte nicht Angst, nur um meine Mutter. Ich
binne keine von der ängstliche Sorte.«
Wir zahlen und verabschieden uns von Daniele. Es
ist schon Nachmittag, wir gehen wieder die engen
Gassen hinunter. Im Vico Vaglia fällt mir die Lücke zwischen den Häusern auf. Wo das Haus zerbombt
wurde, steht jetzt ein kleiner Baum und daneben ein Motorroller.
»Der Baum habe ich gepflanzte, damals mit Papa«,
sagt Antonio und klopft an den Stamm.
Nach dem Tod von Alfredo Marcipane stieg Antonio
auf und beanspruchte von nun an das obere Bett.
Unten rückte Matteo nach, das fünfte Kind der
Marcipanes.
Calogero blieb nicht lange in Afrika, denn nach
sieben Monaten erkrankte er an Durchfall und kehrte zurück nach Campobasso, wo 1943 der Stellungs-krieg tobte.
Oben, auf der Burg, da hatten die Deutschen noch
schwere Geschütze aufgebaut, mit denen sie den Ame-
rikanern entgegenfeuerten, die in Termoli gelandet
waren und das Land, in Richtung Rom ziehend, Meter
für Meter einnahmen. Die Kanonen funktionierten
nicht richtig, die Munition ging aus, der Verteidi-
gungswille erlahmte und die Amerikaner eroberten
die Stadt, deren wesentlicher militärischer Nutzen in der hervorragenden Aussicht von der Burg über das
Land ringsum bestand. Antonio und die anderen Kin-
der zerlegten die Kanonen, bauten sich Spielzeug aus den Einzelteilen und verkauften die Kugellager an
die Amerikaner, die ihnen dafür Zigaretten und an-
dere Kleinigkeiten schenkten. Das erste Kaugummi
war für Antonio auch gleich das letzte seines Lebens, denn es schmeckte wirklich scheußlich.
»Weißte du auch, warum?«, fragt mich Antonio
listig.
»Nein, warum?«
»Weile der gar keine Kaugummi war. War eine
Kondom.« Sirene angeschaltet, große Heiterkeit.
Als der Krieg endgültig vorbei war, warf
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