Maria, ihm schmeckts nicht!
gehen erst durch die Porta Mancina,
biegen einmal links ab, dann zweimal rechts, dann
wieder links. Und als ich gerade die Orientierung
verloren habe, stehen wir vor einer Fleischerei, in deren Schaufenster abgezogene Hasen an Haken bau-
meln und große Fleischstücke in blechernen Eimern
liegen. Es scheint niemand im Laden zu sein, auch
kein Metzger. Hinter der Theke geht es durch eine
Tür in den Kühlraum. Wir betreten das Geschäft, in
dem es kalt ist und streng riecht.
Antonio stellt den verstaubten Koffer auf die
Vitrine und ist auf diese Weise von der Gegenseite
aus nicht mehr zu sehen.
Da hören wir eine Stimme. »Mein Koffer! Das ist
doch wahrhaftig mein Koffer.« Pause. »Antonio Mar-
cipane bringt mir meinen Koffer wieder.«
Eine fleischige Hand ergreift das gute Stück und
nimmt es von der Theke. Dahinter wird ein dicker
Mann in einem blutverschmierten Kittel sichtbar. Er hat einen schwarzen Haarkranz und einen Vollbart
und mag um die sechzig Jahre alt sein. Antonio
lächelt ihn an und sagt: »Nun nimm endlich dienen blöden Koffer zurück. Er steht mir nur im Weg
herum.«
Dann umarmen sich die beiden und küssen sich.
Interessiert begutachte ich die Schalen mit Innereien und blutigen Knochen.
Die beiden schreien sich Nettigkeiten zu und
schließlich ruft Baffone: »Das muss gefeiert werden.«
Er legt den Kittel ab und zieht ein schmutziges Ja-
ckett über den Pullover.
Der Koffer kommt mit, als wir durch die Gassen,
die von sanft fallenden Schneeflocken Pünktchen für Pünktchen angemalt werden, zu Daniele gehen.
Dieser ist kaum überrascht, als wir eintreten.
»Sieh mal!«, ruft Baffone und schwenkt den Koffer.
»Ich erkläre den 23.12. zum Tag des heimgekehrten
Koffers. Darauf eine Runde für alle Anwesenden.«
Da wir, Daniele eingeschlossen, zu viert sind, ist dies kein großes Opfer.
»Ruf die anderen an!«, befiehlt Antonio nach dem
ersten Bitter. »Die Bande soll wieder auferstehen.«
Obwohl sich die meisten Mitglieder der früheren
Gang von der Porta Mancina häufig sehen, hat es
wohl seit der Oberschule kein Treffen aller mehr gegeben, schon gar nicht in einem festlichen Rahmen.
Antonio ist über die Zusammenkunft nun so heftig
erregt, dass er erst singt und dann weint.
Eine Stunde später sind alle da: Luigi Canone,
Carlo, der Schuster, und auch Luca Nannini. Sogar
Topolino kommt, der Kleine, der damals Signore Ba-
nanes Schmuck ausräumte. Der Laden wird voll; so
langsam verliere ich den Überblick, obwohl oder ge-
rade weil mir Antonio jeden Einzelnen von ihnen
vorstellt.
»Vielleicht sollten wir mal bei Nonna Anna anru-
fen und sagen, wo wir sind. Vielleicht macht sich
Sara Sorgen«, insistiere ich, nachdem Baffone unter riesigem Beifall eine hoch emotionale Rede auf seinen Koffer gehalten hat. Antonio lehnt ab und hält
mir ein buntes Gläschen mit etwas Braunem darin
vor die Nase. Als wir später nach Hause kommen,
sitzt Sara schlecht gelaunt am Tisch und spielt mit Nonna Anna und Ursula Karten.
»Wo kommt ihr denn jetzt her?«, fragt sie, ohne
aufzuschauen. Das ist auch besser so, denn wir sind auf dem Heimweg ein bisschen hingefallen, Andó
und ich. Und wir sehen nicht mehr sehr präsentabel
aus. Dafür war mir unterwegs gar nicht kalt. »Heute ist der Tag des Koffers«, bringe ich zu unserer Ent-schuldigung hervor. Wir haben ihn übrigens wieder
mitgebracht. Mein Freund Giovanni Baffone hat ihn
mir geschenkt.
Zur Strafe gibt es anschließend gefüllte Schweine-
füße, eine Spezialität, die gern an Weihnachten zubereitet wird und von der Nonna Anna immer sagt, es
handele sich dabei um die Füße des Teufels, die man ihm wegnehmen und essen müsse, damit er nicht
das Jesuskind entführen kann. Dazu ein Schlückchen
Wein und ich habe keine Angst mehr vor Marco und
seinem Bestiarium. Ich schlafe gut zwischen Haien
und Schlangen. Eine liegt sogar in meinem Bett und
zischt mich an, dass ich mit dem Schnarchen aufhö-
ren soll.
Im italienischen Winterschlaf von Campobasso
wird seitens der Kommune kein Schnee geräumt.
Einmal hat sich Onkel Egidio darüber beschwert. Es
wurde ihm beschieden, dass er doch zwei gesunde
Hände habe, und alte Leute wie Nonna Anna sollten
ohnehin besser zu Hause bleiben, es sei ja gar kein Wetter für einen Spaziergang, viel zu kalt und zu
glatt, falls er das noch nicht bemerkt habe. Egidios und meine gesunden Hände befreien sein Auto am
nächsten Morgen vom Schnee. Wir müssen
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