Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
Vom Netzwerk:
an. Was sollte ich jetzt tun? Ich hatte ja nicht einmal eine Fahrkarte, um den Dieb zu verfolgen …
    »Brauchen Sie Geld?«, erkundigte sich mein Nachbar. Ich nickte beschämt. Wenn er wüsste! »Hier, damit kommen Sie über die Feiertage«, sagte er, drückte mir einen Fünfziger in die Hand und sprang in die U-Bahn. Ich sah ihm gerührt nach. Dennoch: Mit 50  Euro würde ich nicht weit kommen, von Geschenken gar nicht erst zu reden. Ich
musste
den Taschendieb finden!
    5
    Am Kiosk im Untergeschoss kaufte ich eine Telefonkarte. Dann suchte ich eine Telefonzelle und wählte meine eigene Handynummer. Nach dem fünften Klingeln meldete sich eine fremde Stimme. »Ja?«
    Ich holte tief Luft. »Hier ist die Frau, die Sie gerade überfallen haben.«
    Ich hoffte, dass er das Zittern in meiner Stimme nicht bemerkte. Klack. Verbindung unterbrochen. Ich drückte die Wahlwiederholung. Nach zwei Mal Klingeln ging er wieder ran. Er sagte nichts, atmete nur.
    »Hier ist noch mal die Frau, die Sie überfallen haben. Sie können das Geld behalten und meinetwegen auch das Handy, aber die Tasche, das Portemonnaie und meine Schlüssel hätte ich gerne wieder. Bitte.«
    Atmen. Im Hintergrund hörte ich eine Ansage. » IC 307 nach Hamburg-Altona. Abfahrt auf Gleis 13 , bitte Türen schließen.«
    Er war also am Hauptbahnhof!
    »Hallo?«, sagte ich. »Können wir uns treffen? Bitte! Ich verspreche auch, Sie nicht anzuzeigen!«
    6
    Er hatte einfach aufgelegt. Nicht mit mir! Ich kaufte eine MVV -Tageskarte und rannte wieder hinunter zum Bahnsteig, wo gerade die U-Bahn einfuhr. Genau fünf Minuten später keuchte ich die steilen Rolltreppen am Hauptbahnhof hoch. Mit etwas Glück würde ich den Taschendieb aufspüren. Als ich ihn vorhin anrief, stand er offenbar an Gleis 13 . Würde ich ihn wiedererkennen? Er hatte dunkle Haare und trug einen langen dunklen Mantel. So wie ungefähr 100   000 andere Männer an diesem Tag, mal abgesehen von den Weihnachtsmännern.
    Ich steuerte auf eine Telefonzelle zu und wählte erneut meine Handynummer. Diesmal hob er sofort ab, sagte aber wieder nichts.
    »Bitte nicht auflegen! Hören Sie mir nur zu. Deponieren Sie meine Tasche einfach irgendwo in der Haupthalle. Ich rufe in zehn Minuten noch mal an. Okay?«
    Ich lauschte. Er atmete. »Okay?«
    Und dann kam wieder eine Durchsage. In Stereo. Via Handy und direkt über mir. Er war also ganz nah. Vor Schreck ließ ich den Telefonhörer fallen.
    7
    Schwer atmend blickte ich mich um. Der Handtaschenräuber musste ganz in meiner Nähe sein. Und mit ihm meine Tasche mit dem 100   000 -Euro-Los der Weihnachts-Tombola! Ich tastete nach dem Telefonhörer, der neben mir baumelte.
    »Sind Sie noch da?«, fragte ich, während meine Augen die Umgebung scannten. Gut, dass ich heute früh meine Kontaktlinsen eingesetzt hatte.
    »Ich kann Sie sehen«, antwortete die Stimme.
    »Prima«, gab ich zurück. »Dann können wir uns ja gleich treffen. Wo sind Sie?«
    Irgendwie hatte ich ein sehr mulmiges Gefühl. Ich fühlte mich beobachtet. Wer jagte hier wen?
    »Sie lesen gerne Krimis, nicht wahr?«, bemerkte er. Er hatte also schon meine Tasche durchwühlt und den Krimi entdeckt. Ohne Krimi ging ich weder ins Bett noch aus dem Haus.
    »Ich schlage also vor, dass wir uns im Literaturhaus treffen«, fuhr er fort. »Ganz oben im Foyer. In genau zwanzig Minuten.«
    In diesem Moment ertönte bei ihm in Hintergrund die Durchsage: »Nächste Haltestelle: Karlsplatz-Stachus.«
    Er hatte also geblufft. Und er hatte einen satten Vorsprung.
    8
    Am Marienplatz schlug mir der unnachahmliche Duft von Glühwein, gebrannten Mandeln, heißen Maroni und Bratwürsten entgegen. An jeder Ecke dudelte stimmungsvolle Weihnachtsmusik. Ich hatte mich so sehr auf den Besuch des Christkindlmarktes gefreut, auf die Krippen und geschnitzten Holzfiguren, auf Lametta und bunte Christbaumkugeln, aber jetzt hatte ich keinen Nerv dafür. Nur mein Magen knurrte unüberhörbar, als ich an den Buden mit den herrlichsten Leckereien vorbeikam. Ich lief durch die Theatinerstraße, durchquerte die weihnachtlich geschmückten Passagen der Fünf Höfe und erreichte völlig außer Atem das Literaturhaus. Würde er dort tatsächlich auf mich warten? Oder zumindest meine Tasche mit dem 100   000 -Euro-Los?
    Ich stieg in den Aufzug. Als die Türen zugingen, quetschte sich in letzter Sekunde ein Mann herein und drückte den Knopf für den dritten Stock. Langsam fuhr der gläserne Lift nach oben.
    9
    Ich warf dem Mann

Weitere Kostenlose Bücher