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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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ein seltsam archaisches Ambiente, und unsere Anwesenheit darin erscheint uns unwirklich, als hätte uns eine Geisterhand in eine Filmkulisse versetzt, die alles bergen kann: Glück, Liebe, Abenteuer, Tod. Mette besitzt die Fähigkeit, all diese Möglichkeiten willkommen zu heißen.
    »Mein schrecklichstes Weihnachtserlebnis war, als meine Mutter mir ein Nylonkleid schenkte«, beantwortet Paula Mettes Frage. »Ich musste es sofort anziehen. Es klebte an meinen Beinen und lud sich elektrostatisch auf, so dass ich während des ganzen Festes ständig eine gewischt bekam. Ich dachte, das wäre die Strafe für meine schlechten Schulnoten.«
    »Iiih«, macht Aurelia in ihrem Kissenberg und hievt ihren Siebenmonatsbauch auf die Seite. »Bei uns gab’s Heiligabend immer Heringssalat von meiner Oma, mit Rote Bete. Ich hasse Rote Bete. Aber wer nicht aufaß, bekam keine Geschenke.«
    »Das nennt ihr schrecklich?« Mette wirft ihre schwarzen Locken in den Nacken und gluckst ihr kehliges Lachen, dass das Strasssteinchen auf ihrem Schneidezahn nur so blitzt.
    »Als ich dreizehn war, hab ich auf meinen Wunschzettel geschrieben, dass Oma in diesem Jahr keinen Heringssalat machen soll«, fährt Aurelia fort und sieht Mette herausfordernd in die meergrünen Augen. »Am vierten Advent ist sie dann an einem Schlaganfall gestorben. Ich fühle mich heute noch schuldig.«
    »Eine Mörderin weilt unter uns«, sagt Mette, lehnt sich schnell nach vorn und streichelt Aurelias Wange. Das tief dekolletierte Oberteil aus schwarzem Samt spannt dabei über ihrer Brust, was sexy aussieht, nicht vulgär. So ist das immer bei Mette. Sie kann sich Dinge leisten, die für andere unweigerlich peinlich sind. Wahrscheinlich suchen wir deshalb ihre Nähe. Paula, die die Nase voll hat von ihrer Lebensgefährtin. Aurelia, die ständig verkündet, dass sie ihr Kind allein gebären und großziehen wird, dass sie dazu keinen Vater braucht und schon gar nicht Volker. Und ich. Zu zögerlich, endlich ein besseres Leben zu beginnen, wo auch immer, mit wem auch immer.
    Aurelia, Paula und ich. Wir sind keine Freundinnen, nur Teilnehmerinnen desselben Yogakurses, und Mette ist unsere Lehrerin. Zwei Abende in der Woche lassen wir uns von ihrem biegsamen, sinnlichen Körper in der Kunst von Kopfstand, Heuschrecke und Lotussitz unterweisen, und eines Abends im November haben wir uns dann beim Duschen unseren Abscheu vor dem herannahenden Fröhlichkeitsmarathon gestanden.
Dann feiert halt dieses Jahr mit mir in meinem Haus in Mecklenburg!,
hat Mette da gerufen und Rosenöl in ihren Busen geknetet, der rund ist und kein bisschen hängt.
Keine Geschenke, keine Familie – nur Kerzen, gesundes Essen und natürlich das Meer!
    Oh, nichts lieber als das,
haben wir geantwortet. Wie man das eben so sagt. Aber Mette hat uns einfach beim Wort genommen, und deshalb sitzen wir jetzt hier.
    »Und du, Pia?« Mette ist eine umsichtige Übungsleiterin – stets achtet sie darauf, dass alle etwas vorturnen. Ich bin mir sicher, dass sie bis tief in meine Seele blicken kann.
    »Ich hole noch Sekt«, antworte ich und haste aus der Wohnstube. Ich tue mich schwer mit Vertraulichkeiten, vor allem mit denen aus meinem eigenen Leben.
    Der Sturm reißt eisig an meinem Kleid, als ich im Schnee nach einer neuen Sektflasche grabe. Das Meer ist ein schwarzes, brodelndes Nichts. Unser Passat ist unter einem weißen Hügel begraben.
Jetzt sind wir wirklich ungestört, sogar die Handys haben keinen Empfang mehr,
hat Mette vorhin gesagt. Das Gefühl, beobachtet zu werden, springt mich an und beißt wie Frost. Angestrengt spähe ich zum Stall hinüber. Klagt dort wirklich nur der Wind?
Doch wer oder was sollte sich hierher verirren? Närrin!,
schimpfe ich mich.
    »Mein schrecklichstes Weihnachtserlebnis fand hier in dieser Kate statt«, sagt Mette, als ich wieder bei den anderen am Feuer sitze. »Und doch war es zugleich das schönste.« Sie setzt sich auf das Schaffell direkt neben dem Kamin. »So war es damals auch«, erzählt sie träumerisch. »Draußen Schneesturm, drinnen nur das Feuer und ein paar Kerzenstummel, die wir in der Küche fanden. Es war eine andere Zeit, eine andere Welt, diese DDR , in der ich fast all meine Ferien verbrachte, weil mein Vater von hier stammte.« Mettes Gesicht ist kaum zu erkennen, nur das Strasssteinchen auf ihrem Schneidezahn blinkt hin und wieder, wenn sie spricht. Aber bald achte ich nicht mehr darauf, denn Mette hat eine wunderbare Erzählstimme. Einen

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