Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
Vom Netzwerk:
karamelligen Alt, mühelos modulierbar von einem verführerischen Raunen zu jener klaren Distanziertheit, mit der eine geübte Erzählerin sich selbst so weit zurücknimmt, dass nur noch die Geschichte und ihre Charaktere vorhanden zu sein scheinen.
    »Es geschah im Winter nach meinem sechzehnten Geburtstag. Ein sogenannter Jahrhundertwinter war das. Selbst mittags wurde es nicht richtig hell, und das schwache, gelbliche Licht der DDR -Straßenlampen hatte gegen die Schneemassen überhaupt keine Chance. Alle fluchten über die Kälte. Aber ich, ich war verliebt. Verliebt in Adrian Mühler, einen hochgewachsenen, blonden Bauernsohn, der sein Schwalbe-Moped verehrte und von Indien träumte, während er die Schweine fütterte.« Mette seufzt. »Küssen konnte er! Ich war verrückt nach seinen Küssen und verrückt nach seinen Händen. Wollte ihn anfassen, stundenlang, tagelang. Und von ihm angefasst werden! In seinem Arm einschlafen, in seinem Arm aufwachen. Ewig! Ich war vollkommen kompromisslos in meinem Begehren, wie man das eben ist, wenn man jung ist und zum ersten Mal verliebt und noch dazu weiß, dass man nur wenige Tage miteinander verbringen kann.
    Niemand durfte von unserer Liebe wissen. Ich war die behütete Tochter einer sehr moralischen Familie.« Mettes kehliges Lachen erfüllt den Raum. »Und Adrian war zwar schon einundzwanzig, aber seine Eltern waren stramme SED -Mitglieder. Undenkbar, dass er mit einer aus dem kapitalistischen Westen schlief! Außerdem war er bei der Armee. Er diente in einer Kaserne direkt an der See. Das war in der DDR eine Auszeichnung. Adrian galt als vertrauenswürdig genug, gemeinsam mit russischen Eliteeinheiten die Ostsee vor imperialistischen Angriffen zu schützen, wie es so schön hieß.«
    »Und wieso habt ihr euch ineinander verliebt?« Die Frage platzt aus mir heraus wie aus einem kleinen Mädchen im Kasperltheater.
    »Wir hatten uns im Sommer in einer Jugenddisco kennengelernt. Als wir herausfanden, wer wir waren, hat der Reiz des Fremden und Verbotenen unsere Leidenschaft füreinander nur noch gesteigert.« Wieder gluckst Mette ihr einnehmendes Lachen. »Die klassische Situation. Romeo und Julia. Die zwei Königskinder. Sie konnten zusammen nicht kommen … Aber ich war sechzehn und ließ mir nicht gern Vorschriften machen.«
    Sie steht auf, schenkt sich Sekt nach, gleitet mit einer graziösen Bewegung zurück in ihre dunkle Ecke. Völlig in ihrem Körper zu Hause – vermutlich war sie so schon als Teenager. Draußen im Hof klappert etwas, aber niemand außer mir scheint es zu hören.
    »Im Sommer war es ja leicht, ein Versteck für unsere Liebe zu finden. Unter freiem Himmel ist schließlich Platz genug. Aber im Winter? Einmal haben wir es in einer Scheune probiert, aber das war lausekalt und hatte mit Erotik nur sehr bedingt etwas zu tun. Wir brauchten ein warmes Versteck, in dem uns niemand stören konnte.
    Es geht einfach nicht, Mette,
sagte Adrian, der als Kind des Sozialismus daran gewöhnt war, dass die Erfüllung seiner Wünsche der Willkür von Fünfjahresplänen unterworfen war.
    Es muss gehen, Adrian,
erwiderte ich uneinsichtig. Immerhin hatte ich mir in Hamburg die Pille verschreiben lassen, was auch nicht gerade leicht gewesen war.
    Und dann erinnerte sich Adrian an diese alte Kate hier.«
    Mette trinkt einen langen Schluck Sekt und zuckt fast unmerklich zusammen, als der Sturm eine besonders heftige Böe gegen die Fenster presst.
    »Aber wie sollten wir hierherkommen?« Mette legt eine Kunstpause ein und schaut uns an. »Wir haben lange hin und her überlegt, und schließlich hat Adrian dann aus der Kaserne einen Motorschlitten geliehen. Auf einem Acker hat er mich aufgelesen, durchgefroren wie eine ausgesetzte Katze. Ich hatte Mühe, mich an ihm festzuklammern. Der Fahrtwind war eisig, und uns klapperten die Zähne. Und doch werde ich diese Schlittenfahrt über den verschneiten, glitzernden Strand für immer als das weihnachtlichste Erlebnis meines Lebens in Erinnerung behalten.«
    »Haben eure Familien euch denn einfach so gehen lassen, an Weihnachten?«, fragt Paula.
    »Natürlich nicht. Wir haben sie angelogen. Adrian erzählte, er hätte Dienst. Ich erbettelte mir die Erlaubnis, mit meiner Cousine und ihrer Familie zu feiern. Die lebten ein paar Dörfer weiter und spielten mit. Hatten selber ganz jung geheiratet und wussten, wie wichtig Liebe ist. Ein Telefon, mit dem man mich hätte kontrollieren können, gab es ja nicht. War eben alles noch

Weitere Kostenlose Bücher