Maria, Mord und Mandelplätzchen
anders damals.
Und dann der Schock, als wir hier ankamen: Schäbig und staubig war’s hier drinnen. Und kalt! Die Kate wurde ja nur im Sommer von Anglern benutzt. Es hat ewig gedauert, bis wir ein Feuer entzündet hatten. Zum Glück gab’s in der Scheune wenigstens Brennholz und Stroh, daran hatten wir vorher gar nicht gedacht. Wodka haben wir getrunken, um uns aufzuwärmen. Wodka war sowieso der Hauptbestandteil unseres Gepäcks. Fünf Flaschen Wodka für den russischen Kameraden, der Adrian den Motorschlitten beschafft hatte. Und eine Flasche bulgarischen Rotwein, Dauerwurst und Schwarzbrot für uns. Und Marzipankartoffeln. Köstlich war das!
Als wir satt waren und das Feuer uns endlich aufgewärmt hatte, legten wir Adrians Schlafsack vor den Kamin und breiteten einen Bettüberwurf aus rotem Samt darüber. Den hatte ich aus Hamburg mitgebracht. Ich fand, er sei ein zwingend notwendiges Accessoire für meine erste Liebesnacht unter einem festen Dach. Passende Dessous hatte ich natürlich auch gekauft.«
»Das hast du dich mit sechzehn getraut?«, rufe ich.
»Warum denn nicht?« In Mettes Antwort schwingt ein lässiges »Du etwa nicht?« mit.
Wieder lässt sie ihr Strasssteinchen blitzen. »Blutrote Spitze mit Strapsen. Mein Weihnachtsgeschenk für Adrian. Ich dachte, so müsste die Liebe sein. Und es hat seine Wirkung nicht verfehlt. Mein Gott, wie haben wir uns geliebt in dieser Nacht! Immer und immer wieder. Wir waren völlig außer Rand und Band und bald auch betrunken vom Wein, der sich auf unseren Zungen mit dem salzigen Geschmack unserer Körper, dem Qualm der Karo-Zigaretten und der Salami vermischte. Und dann die Kerzen und das Feuer! Als wären alle Liebe und alles Licht der Welt in diese windschiefe Kate gekommen, so fühlte es sich an. Und draußen sang der Sturm ein Lied für uns.«
Mette stellt ihr Sektglas heftig auf dem Boden ab. »Bis zu dem Moment, in dem wir die Stimmen hörten. Barsche Männerstimmen, die Russisch sprachen. Erst vor unserem Fenster und dann, noch ehe wir überhaupt begriffen hatten, was geschah, in der Diele.«
Mette springt auf. »
Dawai, dawai!
Dann flog auch schon die Tür zur Wohnstube auf, und da standen sie. Zwei grausige Imitationen vom Weihnachtsmann, die Pelzmützen voller Raureif, die Gesichter rot und böse, riesige Filzstiefel unter den Mänteln und im Arm Kalaschnikows!«
Mette lässt sich wieder auf den Boden sinken und spricht weiter, mit einer neuen, heiseren Stimme.
»Adrian wusste sofort, was Sache ist. Warf das Samttuch über mich, sprang auf, stand stramm, splitterfasernackt, wie er war. Es waren Kameraden aus seiner Kaserne, eine Grenzpatrouille, die sich auch von einem Schneesturm nicht von ihrer Pflichtrunde abhalten ließ. Harte Kerle sind das. Schnallen sich die Skier zur Not mit Einweckgummis an die Stiefel – die kann keiner stoppen.
Sie sprachen auf Russisch miteinander, Adrian und die Soldaten. Bellten sich an, so klang das in meinen Ohren. Ich musste vor lauter Angst dringend pinkeln, wagte aber nicht, mich zu bewegen. Denn ihre Blicke wurden immer begehrlicher. Ich weiß nicht, was Adrian ihnen erzählte, aber ganz offensichtlich fanden sie, dass ich nicht nur als Weihnachtsgeschenk für Adrian etwas taugte.
Wie sehr konnte ich mich auf Adrian verlassen? Würde er wegen einer wilden Nacht mit mir sein Leben zerstören? Wie viele Jahre Gefängnis würde ich ihm einbringen? Ich, eine aus dem Westen, ihm, dem Grenzsoldaten? Und überhaupt, was konnte er gegen zwei Soldaten schon ausrichten?«
Mette räuspert sich. »Nie habe ich so viel Angst gehabt. Als die Russen ihre Kalaschnikows auf den Tisch warfen und Adrian sich zu mir umdrehte, waren seine Augen ganz hart und kalt.
Tu jetzt ganz genau, was ich dir sage, sonst sind wir beide tot!,
herrschte er mich an.
Sie glauben, du bist meine Hure, also verhalte dich so. Geh in die Küche, wasch dich, zieh deine Wäsche an und richte dein Haar. Dann komm herein, lächle und bring uns Wodka. Viel Wodka. Und denk nicht einmal daran, wegzulaufen.
Ich musste Adrian gehorchen, ich hatte keine andere Chance.« Mettes Stimme klingt wie von weit her. »Aber ich habe gekämpft. Ich hab sie gelockt und mich ihnen entzogen, das alte Spiel. In meiner Verzweiflung hab ich sogar für sie getanzt und Weihnachtslieder gesungen. Singen, das mögen sie gern, die Russen, hatte Adrian mir mal erzählt. Und wirklich, sie ließen mich gewähren. Sie antworteten sogar mit ihren eigenen traurigen Liedern, so dass
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