Maria, Mord und Mandelplätzchen
Falsche getan. Du hast nicht auf deine Eltern gehört, du warst leichtsinnig, und darum bist du ins Wasser gefallen. Mein Vater hat dich gerettet, und er ist dabei gestorben!« Elkes Stimme war leise, die Worte schneidend wie der Wind, der Stefan den Schnee ins Gesicht blies. Wie die Erkenntnis, die ihn jetzt in erhebliche Unruhe versetzte. Unfair, dachte er, das war doch so haarsträubend ungerecht, dass ihm kurz die Worte fehlten.
»Dass kein Anruf kam, kein Wort des Dankes, das habe ich ja fast verstanden«, sagte Gundula nun. »So etwas will man schnell vergessen als Eltern. Und du warst ja noch ein Kind. Eigentlich warst du uns ohnehin keinen Dank schuldig, sondern etwas ganz anderes. Ein Leben nämlich, Stefan, ein gutes und sinnvolles Leben. Eines, das Rüdigers Opfer wert war.«
»Was soll denn das?«, wimmerte Stefan. »Gundula, was redest du denn da?«
»Er versteht es noch immer nicht«, bemerkte Elke spitz. »Er ist zu beschränkt, um zu begreifen, worum es eigentlich geht!«
»Fünfundzwanzig Jahre«, sagte Gundula. »Fünfundzwanzig Jahre habe ich mir dein Leben angeschaut. Habe darauf gewartet, dass du etwas daraus machst. Fünfundzwanzig Jahre habe ich zugesehen, wie du jeden Tag vergeudest!«
»Ich hatte es auch nicht leicht«, verteidigte sich Stefan, wenngleich er nicht so recht wusste, gegen was oder wen. »Und ich bin nicht beschränkt!«
»Du bist egozentrisch. Du bist maßlos. Du bist ein Lügner, ein Betrüger, ein Dieb. Du hast nie etwas getan, das nicht ausschließlich deinem eigenen Vorteil dient. Ich habe so gehofft, dass du diesen Eindruck korrigierst. Mir einen guten Kern zeigst!«
»Mutter«, sagte Elke. »Mir ist auch ein bisschen kalt!«
»Ja, lass uns nach Haus gehen!« Stefans Erleichterung war enorm. »Lass uns nach Hause gehen und in Ruhe über alles reden!«
»Du hast eine Woche auf ihn eingeredet, und er hat nichts begriffen«, fuhr Elke fort, als habe Stefan gar nichts gesagt. »Meinst du, jetzt ändert sich das noch? Und spielt es eine Rolle? Es war dein Idee, Mama. Jetzt bring es auch zu Ende!«
»Es tut mir leid«, sagte Stefan. Ein Versuchsballon. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass dieser Satz zuweilen half, wenn man es mit Frauen zu tun hatte, die einem Vorwürfe machten, denen man nicht recht folgen konnte. »Es tut mir wirklich ganz entsetzlich leid!«
»Ich kann mir das jetzt nicht anhören«, sagte Elke. »Ich kann mir das jetzt wirklich nicht anhören.«
Für eine Sekunde liebte Stefan sie wirklich. Seine Retterin. Er wollte nur noch raus aus der Kälte, zurück zur Villa. Und wenn diese beiden Weiber nicht eine verdammt gute Entschuldigung hatten für diese kranke Nummer hier, dann konnten sie ihren Kaviar alleine fressen. Dann würde er noch heute seine Koffer packen. Auch Stefans Geduld hatte ihre Grenzen.
»Du hast ja recht«, sagte Gundula. »Irgendwann muss Schluss sein!«
Stefan hörte die letzten Worte, verstand sie aber nicht, denn er konnte nicht denken, weil es zu kalt war, so eiskalt war das Wasser, dass die Luft, in die sich sein Arm reckte, fast warm wirkte. Er wollte schreien, aber er konnte nicht, denn sein Gesicht war unter Wasser, und er musste doch atmen. Ertrinken ist ein grauenhafter Tod. Die Worte hallten in seinem Kopf, und es tat weh, alles tat sehr weh.
Oben am Geländer standen zwei Frauen. Still standen sie da, lauschten in die verschneite Nacht, bis die klatschenden Geräusche verstummten. Erst dann sahen sie sich an.
»Frohe Weihnachten«, sagte Gundula. Sie hatte Tränen in den Augen. »Ich wünsche dir frohe Weihnachten, mein Kind!«
Elke umarmte ihre Mutter. Hielt sie ganz fest. »Ich dir auch«, sagte sie. »Und ich danke dir für das schönste Geschenk, das wir uns machen konnten.«
»Jauchzet, frohlocket!« Der Wind wehte die Klänge von irgendwoher. »Auf, preiset die Tage!« Sie hakten sich unter und gingen lächelnd nach Hause.
Autorenvita
Sabine Trinkaus ist an der Elbe aufgewachsen, hat sich aber nach internationalen Lehr- und Wanderjahren im Rheinland niedergelassen und lebt mit Mann und Tochter in Alfter bei Bonn. Seit 2007 schreibt sie kriminelle Kurzgeschichten, für die sie bereits zahlreiche Preise gewonnen hat (zuletzt den Agatha-Christie-Krimipreis 2010 ). Sie ist Mitglied im SYNDIKAT und bei den
Mörderischen Schwestern.
Im Frühjahr 2012 erscheint ihr erster Kriminalroman.
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