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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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Regenwolken hingen schwer über dem Siebengebirge, und die Ruine des Drachenfelses schien wie in schmutzige Watte gehüllt.
    Ein paar Schneeflocken wären wunderbar, dachte Erna und duckte sich unter ihrem schwarzen Schirm. Ein bisschen Schnee, um die Dächer Königswinters zu überzuckern, ein paar Flocken, die im Licht der Weihnachtsbeleuchtung auf und nieder tanzen! Erna war der Meinung, dass einer frischgebackenen Witwe dieser bescheidene Wunsch ruhig erfüllt werden konnte, nach allem, was sie hatte durchmachen müssen.
    Pünktlich um vier drückte sie die Klingel. Seit vielen Jahren traf sie ihre Freundin Hedwig am ersten Adventssonntag zum Tee. Wie jedes Jahr war sie vorher beim Friseur gewesen, wie jedes Jahr hatte sie zwei kostbare Tropfen White Linen hinter die Ohren getupft, und wie jedes Jahr hatte sie ein kleines, sorgsam verpacktes Geschenk dabei.
    Nur ein Detail war anders als in den vergangenen Jahren. Es war die Farbe ihrer Kleidung.
    »Schwarz steht dir gut«, sagte Hedwig zur Begrüßung. »Komm doch herein. Ein scheußliches Wetter!«
    »Und das am ersten Advent«, pflichtete Erna bei und klappte ihren Schirm zusammen. »Wäre es nicht wunderbar, wenn es schneien würde?«
    Sie folgte Hedwig ins überheizte Wohnzimmer. Wie jedes Jahr hatte Hedwig den kleinen Tisch am Fenster mit ihrem guten Weihnachtsservice gedeckt, der dunkelgrüne, festlich geschmückte Tannenbaum prangte auf Kanne und Tassen, daneben lagen die dunkelgrünen Servietten. Wie jedes Jahr hatte sie frisches Gebäck dazugestellt – passend zum Anlass waren es Weihnachtsplätzchen. Wie jedes Jahr dampfte die Teekanne bereits auf ihrem Stövchen.
    »Jetzt bist du also auch Witwe«, stellte Hedwig überflüssigerweise fest. »Weißt du was? Ab jetzt können wir beide uns eine nette Zeit zusammen machen. Ich bin so froh, dass du gekommen bist, Erna! Es ist sicher alles sehr schwer für dich.«
    »Das Leben geht weiter«, sagte Erna tapfer und presste die Lippen aufeinander.
    Hedwig nickte mitfühlend. »Die Beerdigung war wirklich wunderschön! Nur schade, dass ich nicht länger bleiben konnte.«
    »Aber das macht doch nichts.« Erna nahm, wie jedes Jahr, auf dem Stuhl neben der Kommode Platz, genau unter Hedwigs silbern gerahmtem Hochzeitsbild. Friedrich lächelte milde auf sie hinunter. Er war seit über zwanzig Jahren tot.
    »Ich bin so froh, dass du das sagst«, erwiderte Hedwig und tätschelte Erna die Hand. »Ich hatte scheußliche Schmerzen an dem Tag. Der Rücken, du weißt.« Sie griff nach der Teekanne, zögerte und sah Erna abwartend an.
    Erna öffnete ihre Handtasche und überreichte der anderen ihr kleines Geschenk, wie jedes Jahr. Ernas Lavendelseifen stapelten sich bereits zahlreich hinter den Gästehandtüchern in Hedwigs Badezimmer.
    »Das wäre doch nicht nötig gewesen!«, wehrte diese nach alter Manier ab, nahm es entgegen und stutzte.
    Etwas war anders. Das Päckchen. Es war leichter. Es war keine Seife.
    Eher verwirrt als neugierig löste Hedwig die Schleife, zog etwas aus dem raschelnden Geschenkpapier und hielt inne.
    Es war ein Tannenbaum. Ein eingeschweißter Dufttannenbaum fürs Auto.
    »Wie reizend«, sagte Hedwig etwas hilflos und hob das Ding an der goldenen Kordel hoch, die Erna darumgebunden hatte.
    Erna lächelte rätselhaft. »Ich dachte, so ein Tannenbaum passt gut zum ersten Advent.«
    »Weihnachtsduft«, bemerkte Hedwig, nachdem sie das Tannenbäumchen studiert hatte. »Warum nicht? Sonst hatte ich immer Vanille. So riecht es immer gut bei mir im Auto. Dabei habe ich schon manchmal darüber nachgedacht, ob ich nicht bald meinen Führerschein abgeben sollte.« Sie griff hilfesuchend nach der Teekanne.
    »Ein Tässchen?«
    Erna nickte artig. »Gern.«
    Misstrauisch sah sie zu, wie die goldbraune Flüssigkeit ihre Tasse füllte. Meistens kredenzte Hedwig ihr einen Grüntee aus Beuteln mit grellem, künstlichem Mandarinenaroma. Diesmal aber war es goldener Tee, von dem ein zarter Duft ausging, ein Duft nach … Erna schnupperte. Gebackenen Äpfeln. Dazu eine Prise Zimt, eine Spur Sternanis, über allem aber thronte unverkennbar die satte Süße von Marzipan.
    »Mein neuer Weihnachtstee«, verkündete Hedwig stolz. »Nur natürliche Aromen. Der Grüntee hat dir ja überhaupt nicht geschmeckt.«
    Erna war gerührt. Beinahe vergaß sie, wozu sie hergekommen war. Vorsichtig nippte sie und nickte befriedigt. Der Tee war köstlich.
    Hedwig seufzte tief und bewegt, als Erna ein Stück Kandis in ihre Tasse

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