Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
Vom Netzwerk:
Gundula vermutet hatte. »Mutter, du hast den Verstand verloren!« Ihre Stimme klang beherrscht, aber Gundula wusste trotzdem, dass sich ihre Tochter furchtbar aufregte. Damit hatte sie gerechnet. Darum hatte sie ja nichts gesagt, am Telefon.
    »Du bist einfach zu vernünftig«, sagte sie nun und versuchte ein Lächeln.
    »Das ist nicht komisch, Mutter!«
    »Nein«, sagte Gundula. »Natürlich ist es das nicht. Aber ich bin alt. Ich habe nicht mehr ewig Zeit. Irgendwann muss man dem Schicksal ein bisschen auf die Sprünge helfen. Verstehst du?«
    Elke schüttelte den Kopf. Eher verzweifelt als abwehrend.
    »Natürlich verstehst du das«, sagte Gundula. »Kind, ich kann dich nicht zwingen. Aber ich bin deine Mutter, und ich kann dich bitten, es zu versuchen. Offen für die Möglichkeit zu sein, für alle Möglichkeiten. Mir zuliebe.« Sie betrachtete Elke. Hier und da schimmerte es silbern in ihrem dunklen Haar, auch die Falten um die Augen waren nicht mehr zu übersehen. So viele Jahre, dachte Gundula, wo ist nur die Zeit geblieben? Dabei war Elke noch nicht alt. Und sie hatte so viel erreicht. Sie war erfolgreich, verdiente viel Geld. Sie war auch beliebt, sie hatte viele Bekannte. Auf den ersten Blick sah niemand, was Gundula das Herz zerriss. Den Schmerz in Elkes Seele, das, was sie wegtrieb von anderen Menschen. Elke war einsam. So wie Gundula. Aber Elke war viel zu jung für diese Art von Einsamkeit.
    »Es ist Weihnachten«, sagte sie jetzt. »Sieh es als Geschenk. Mein Geschenk an dich. Dein Geschenk an mich. Meinst du nicht, das bist du mir schuldig?«
    »Mutter!« Elke umklammerte den Kaffeebecher, und für eine Sekunde fürchtete Gundula, sie könne ihn gegen die Wand schleudern.
    »Versuch es. Mehr verlange ich nicht. Lern ihn ein bisschen kennen. Sprich mit ihm. Hör ihm zu, schau ihn dir an, sei offen für die Möglichkeiten. Wirst du das tun? Für mich?«
     
    Die Tür sprang auf, und zu Stefans großer Verwunderung war es Elke, die mit dem Baumschmuck den Raum betrat.
    »Ich sage das jetzt nur einmal«, erklärte sie und stellte den Karton auf den Boden. »Es wäre besser für Sie, es wäre vermutlich besser für uns alle, wenn Sie jetzt sofort verschwinden würden!«
    Das war genau das, worauf Stefan gewartet hatte. »Jetzt hören Sie mir mal zu«, brüllte er. Er hatte sich die Worte sorgfältig zurechtgelegt. »Was bilden Sie sich denn ein? Wo waren Sie denn? Wer hat sich denn um Ihre Mutter gekümmert? Wer hat mit ihr Plätzchen gebacken, wer hat ihren Schnee geschippt? Wer ist mit ihr auf den Weihnachtsmarkt gegangen, immer wieder, Kinderchor und Blockflöten und Glühwein, tausend Mal? Sie vielleicht?«
    »Sie ist meine Mutter, und ich liebe sie.« Elke klang unbeeindruckt. »Ich bin bereit, alles zu tun, was sie glücklich macht.« Sie hob den Deckel vom Karton, griff nach einer Lichterkette, die obenauf lag. Sie reichte sie Stefan. »Können Sie die mal auseinandersortieren, bitte?«
    Stefans Mund blieben eine Sekunde offen stehen. Er verstand die Welt nicht mehr. Jedenfalls nicht richtig. Er nahm die Lichterkette und begann, sie vorsichtig zu entwirren. Folgte dem grünen Kabel, sortierte die winzigen Birnen nebeneinander. So, wie seine Gedanken. Geduldig glättete er die Stränge, entfernte die Knoten, bis plötzlich alles zusammenpasste. So klar war das Bild, dass er kurz aufstöhnte. Elke! Es war die ganze Zeit um Elke gegangen.
    Vorsichtig hob er den Blick, musterte sie, wie sie die Kugeln vorsichtig aus dem Seidenpapier wickelte. Zu blass, zu streng, zu viel auf den Rippen. Ganz sicher nicht sein Typ. Aber alles in allem und mit ein bisschen gutem Willen war sie so übel nicht.
    Sie spürte seinen Blick und sah auf. Er schenkte ihr sein charmantestes Lächeln.
    Er war also doch nicht auf dem Holzweg gewesen. Jedenfalls nicht ganz.
     
    Die Tassen auf dem Tablett klirrten leise, als Gundula es über den Flur in Richtung Wohnzimmer balancierte. Durch die geschlossene Tür hörte sie die Klänge des Weihnachtsoratoriums. »Erleucht’ auch meine finstre Sinnen«, bat der warme Bass, als sie die Klinke mit dem Ellbogen hinunterdrückte und vorsichtig die Tür aufschob. Sie stellte das Tablett ab und betrachtete den Baum. »Wunderschön«, sagte sie. »Ihr seid ja schon fast fertig!«
    »Wir sind ein tolles Team!« Stefan war mit wenigen Schritten bei Elke, die gerade eine Kugel an einem Zweig befestigt hatte. Er hob den Arm und legte ihn plump um Elkes Schulter. »Warum hast du mir eigentlich

Weitere Kostenlose Bücher