Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
führen viele unserer jungen Leute immer öfter ins Ausland, und gleichzeitig fallen die Grenzen. Bei uns feiern Russen, Amerikaner, Japaner und auch Menschen anderer Religionen, denen unser heiliges Weihnachtsfest wenig bedeutet. Mit meinem Lied möchte ich im Namen unseres Herrn all denen eine Freude machen, die fern von der Heimat das heilige Fest feiern. Aber auch wegen Ihrer ausländischen Gäste in der Kirche, dachte ich, könnte mein Lied vielleicht gut in Ihre diesjährige Weihnachtsaufführung passen?«
Sorgfältig geht der Pfarrer daraufhin jede einzelne Textzeile ihres Liedes durch, und Miriam hält die Luft an. Sie erinnert sich plötzlich, dass in ihrem Lied rein gar nichts vorkommt, was dem Pfarrer vertraut sein wird. Die Runzeln auf seiner Stirn vertiefen sich auch bereits ablehnend, als er die Notenblätter neben sich legt und Miriam mit einem hörbar enttäuschten Seufzer ansieht.
»In Ihrem Lied kommt weder ein ›heilig, heilig‹ noch ein Hosianna oder zumindest ein Amen oder ein einziges Gloria vor!«
Aber Miriams Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
»So wurde es mir von unserem Gottvater im Traum eingegeben, weil das Lied eben in die heutige Zeit passen soll … Das Christliche und Heilige ist in der musikalischen Begleitung. Auf der Orgel klingt es ungefähr so …«
Miriam summt zum Schrecken des Pfarrers eisern die ganze erste Strophe durch, sogar mit Refrain. Sein Blick ruht beunruhigt auf Miriams enormem Bauch. Als sie fertig ist, raschelt er mit den Notenblättern in seiner Hand, bevor er sich leicht ratlos am Kopf kratzt und seine Brille geraderückt.
»Meinetwegen … schlagen Sie es unserer Diva vor.«
Dann, nach einer angemessenen Pause: »Wissen Sie eigentlich, dass Sie ihr sehr ähneln, der ersten Frau vom Josef?«
Auf dem Stadlerhof belauscht Bene hinter den Strohballen in der Scheune, wie der Cowboy mit seinem Vater spricht. Gemeinsam beugen sich die Männer über die offene Motorhaube. Der Junge kann nicht alles verstehen, allein schon wegen des extremen Bayerisch. Aber als er mehrfach den Namen seiner Tante hört, begreift er, was sich hier anbahnt. Ärger wird es geben. So klein wie möglich macht Bene sich, um nicht bemerkt zu werden. Wie er an der wachsenden Lautstärke bemerkt, bahnt sich bereits eine Auseinandersetzung an. Der Vater nimmt dem Sohn gegenüber kein Blatt vor den Mund.
»Wennst selbst a g’scheite Familie haben tätst, dann würdest’ auf solchene verrückten Ideen gar net komma, Bua!«
»Des mog scho sei …«
Mehr sagt der Cowboy nicht. Er sieht nicht einmal von seiner Arbeit auf, sondern beschäftigt sich intensiv mit den Innereien von Molly. Einen metallenen Stab zieht er vor, von dessen unterem Ende sich zäh ein fetter Tropfen Öl löst. Aber sein Vater gibt keine Ruhe, seine Stimme wird noch ein wenig lauter.
»Nach dem, was du mir jetzt erzählt hast … dass die drei arm sind, nirgendwo mehr hinkönnen und die Polizei vielleicht nach ihr sucht, wie hast dir des gedacht? Was genau willst jetzt anfangen mit denen drei nach den Weihnachtsferien?«
»Woaß i no net.«
Brummelnd reicht der Vater seinem Sohn einen Lappen, und Joe hält den Stab gegen das Licht, das durch die Scheunentür hereinfällt. Bene vermutet, dass er Zeit gewinnen will, aber er hat bereits verstanden. Das hier ist zwar das Paradies, aber leider nicht ihr Paradies. Wieder spricht Ernst, diesmal meint Bene ein wenig mehr Besorgnis zu hören.
»Du woaßt fei scho, dass es net leichter wird, wenn ihr Kind auf da Welt is? Dann sans vier, die du wieder zum Teufi jagen musst. Woast du des, Bua …?«
Joe antwortet nicht. Schmerzhaft bohrt sich der klare Lichtstrahl in seine Augäpfel und erinnert ihn an die vielen Nächte, in denen er aus Verzweiflung und Einsamkeit das eine oder andere Bier zu viel getrunken hat. Er hat keine Ahnung, wie er die Frage seines Vaters ehrlich beantworten soll, denn er freut sich allein wegen der Kinder zum ersten Mal seit vielen Jahren auf die Feiertage. Vielleicht war Joe nie der Sohn, den sein Vater sich gewünscht hat, aber Ernst hatte zumindest einen Sohn. Aus Liebe zu seinem Vater hat Joe jedes Jahr aufs Neue so getan, als ob die Modelleisenbahn das wunderbarste Spielzeug auf Erden sei, obwohl er viel lieber Rennwagen mochte. Mit einem Mal packt Joe Zorn auf seine Eltern, die ihn das letzte Jahrzehnt auf vielerlei Weise haben wissen lassen, wie enttäuscht sie von ihm waren. Ehemalige Schulkameraden von Joe mit ihren fröhlichen
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