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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Joens
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meisten von ihnen je kennengelernt zu haben. Aber an der Wand in der Küche hängen jede Menge Fotos aus der guten alten Zeit, als die bayerischen Großbauern im Chiemgau noch etwas wert waren.
    »Und wer sind diese Engel?«
    Anna-Sophie deutet auf ein weiteres Familienfoto in Schwarz-Weiß, das Hilla mit ihrer Klasse bei einer Schulaufführung des Krippenspiels zeigt. Hilla war damals zwölf Jahre alt und kurz nach dem Krieg schrecklich dünn. Geduldig hört sich das kleine Mädchen alle Namen von Hillas ehemaligen Mitschülerinnen an, denn Hilla will niemanden vergessen, weil das Vergessen in ihren Augen etwas ganz Schlimmes ist. Anna-Sophie gibt der netten Oma recht, denn auch sie will sich für immer an das erinnern können, was sie mit ihren Eltern erlebt hat. Dann beginnt sie fröhlich zu erzählen, von Ferien mit Papa und Mama, von gemeinsamen Ritualen, die sie liebte, und ihren Lieblingsmärchen.
    Hilla schiebt währenddessen das nächste Blech in den Ofen und freut sich über die Zutraulichkeit des kleinen Mädchens, das nicht das kleinste bisschen Angst vor ihr zu haben scheint, auch nicht, als Hilla sie ermahnen muss, weil Teig auf dem Küchenboden landet. Geschickt klettert die Kleine vom Hocker, macht sauber und umarmt Hilla spontan.
    »Du bist so wie die Frau Holle … manchmal streng, aber eigentlich eher lieb. So wie du wäre meine Oma sicher auch gewesen, wenn der Krebs sie der Mami und der Tante Miriam nicht so früh weggenommen und hoch auf die Wolke geschickt hätte.«
    Hilla sagt nichts. Mit der großen Teigrolle rollt sie stumm einen weiteren flachen Teigfladen dünner und dünner aus, bis das Mädchen erneut ihre Engelsflügel ausstechen kann. Anna-Sophie sticht die Flügel auf ihre eigene Art aus. Einmal stehen sie auf dem Kopf und dann wieder richtig herum. So macht Hilla es nie. Bei ihr mussten die Engelsflügel schon immer in Reih und Glied stehen, mit den Spitzen schön ordentlich nach unten. Anna-Sophie beginnt beim Ausstechen zu summen, um dann plötzlich innezuhalten. Sie sieht sich die Reihen von Engelsflügeln genauer an. Fragend blickt sie zu Hilla hoch.
    »Sind die Flügel von den Engelmännern oder von Engelfrauen?«
    Hilla lacht spontan auf.
    »So a Schmarrn! Des gibt’s doch gar net! Die Engel im Himmel san weder weiblich noch männlich. Die san …«
    »Du lügst! Bei den Engeln gibt es Männer und Frauen!«
    Tränen der Wut steigen in Anna-Sophies Augen auf. Hilla versteht auch ohne großes Nachdenken sofort, dass sie gerade einen Fehler gemacht hat. Die Unterlippe des Mädchens beginnt zu zittern, eine erste Träne fällt auf teigige Engelsflügel, und ein heftiges Schniefen kündigt weitere an.
    »Mein Papa ist auch ein Engel!«
    Hilla erschrickt. Ihr ist kurz entfallen, was dem Kind geschehen ist. Nur sich selbst hatte sie gesehen und drauflosgeplappert, wie sie es bisweilen tut, wenn ihre Gedanken noch vor dem Sprechen Reißaus nehmen. Dabei hatte sie doch gerade noch gesagt, wie wichtig es ihr sei, nichts zu vergessen, gerade nicht die Toten.
    »Es tut mit leid! Ich hab was Dummes gesagt …«
    Aber es kommt keine Antwort mehr. Eine Schleuse zum Unglück hat sich aufgetan. Im Gesicht des Mädchens sieht Hilla den Schaden, den sie in ihrer Unachtsamkeit angerichtet hat. Anna-Sophies Schultern fallen nach vorne, und ihr Kopf hängt nach unten. Was als einzelne Tränen begonnen hat, wird zu einem Rinnsal und beginnt vom Kinn auf den Teig zu tropfen. Ihr raues Schluchzen reicht bis in die Kehle hinunter, und ihre Hände halten sich verkrampft an der hölzernen Tischplatte fest. Hilla wird zunehmend verzweifelter.
    »Jetzt beruhig dich doch … Soll ich deinen Bruder holen?«
    Aber Anna-Sophie schüttelt den Kopf. Trocken und hart klingen ihre Schluchzer. Vom plötzlichen Schmerz versteinert, steht sie vornüber gebeugt, so als würde sie ihr Herz gegen einen Sturm schützen müssen, während Hilla hilflos danebensteht und darüber nachdenkt, wie zerbrechlich so ein kleines Wesen ist und wie grausam bisweilen eine alte Frau, die zu viel redet. Hilla ist erschrocken über sich selber, denn vielleicht ist sie über die Jahre wirklich bitter geworden, weil sie kein einziges Enkelkind ihr Eigen nennen darf. Die alte Frau schämt sich, erlaubt sich aber diesen Luxus nur für ein paar Sekunden, bevor sie sich betont theatralisch gegen die Stirn schlägt.
    »I bin ja noch viel dümmer als dumm! A richtiger Depp bin i! Des mir des net glei ei’g’fallen ist! Du und i, wir moana zwoa

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