Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Frauen und wachsender Kinderschar hatten Hilla und Ernst eingeladen, um zu demonstrieren, was für fürsorgliche Großeltern sie wären, wenn Joe endlich über Rosemaries Verlust hinwegkommen würde. Seine Eltern können heute noch nicht verstehen, dass Joe in der Stadt vor allem kinderlose Freunde hat und die familiär Gescheiterten bevorzugt. Nur das Weihnachtsfest und einige andere verwandtschaftliche Verpflichtungen erlebt Joe noch auf dem Land, um seiner Mutter nicht das Herz zu brechen. Seinem Vater ist er zum Rätsel geworden, denn ein vorbestrafter Taxifahrer, der zwischen zwei Welten wandelt, aber nirgendwo hingehört, ist kein Sohn, auf den man auf dem Land stolz sein kann.
Joe hört seinen Vater schwer atmen und beißt sich auf die Zunge, um nichts Unbedachtes zu sagen, aber in seinem Bauch rumoren andere Gefühle. Seine Eltern sind es schließlich gewesen, die ihm seit frühester Kindheit Fußeisen angelegt haben, und die Angst, die Joe jedes Mal überkommt, wenn er sich verliebt, hat er schon gehabt, bevor Rosemarie ein Stück seiner Seele mit in den Himmel nahm. Wenn du lieben willst, musst du auch verlieren können, so lautete das ungeschriebene Gesetz der geöffneten Herzen. Immer schon ist sein Leben irgendwie vom Tod überschattet gewesen, und daran sind seine Eltern schuld. Ihre Angst hatten Hilla und Ernst Joe schon allein deshalb mit in die Wiege gelegt, weil er als Einziger von seinen Geschwistern überlebt hat.
Sein Vater bricht das unangenehme Schweigen.
»I moan, da muss es doch irgendwo a Verwandtschaft geben? Tanten, Onkel, Großeltern …? Irgendwer muss sich doch da kümmern … Net, dass des am End no an dir hängen bleibt und du nachher vier Mäuler stopfen musst als Taxifahrer …?«
Der Cowboy atmet scharf ein, denn genau das ist es, was er an seinem Vater so hasst. Immer geht es darum, dass man nicht von irgendjemandem ausgenutzt wird.
»Na, Papa, da gibt’s wohl niemanden, denn sonst wär ja wohl net von Pflegeeltern für die Kinder die Rede. Die Miriam steht ganz alloa da auf der Welt und bald noch mit am dritten Kind …«
Ernst verschränkt die Arme und stellt sich breitbeinig vor seinen Sohn hin, um auch ganz sicher deutlich zu machen, was er davon hält.
»Da hat s’ ja aber selber sicher auch ihren Teil dazu beitragen, diese Frau Bechow. Die Kinder können einem leidtun.«
Am liebsten würde Joe seinen Vater schütteln, aber er tut es nicht, sondern legt ihm stattdessen den Arm um die Schultern.
»Es ist bald Weihnachten, Papa, und zudem gibt es auch Leut, die herzensgut san und trotzdem jede Menge unverschuldetes Leid erfahren. Warst scho länger nimmer unten in der Messe …?«
Ernst räuspert sich.
»Willst jetzt du mir damit sagen, dass ich a bisserl mehr Barmherzigkeit zeigen sollt’?«
»Des hast jetzt schee g’sagt, Papa, besser hätt’s der Pfarrer a net kenna, denn du und Mama, ihr seid doch Christenmenschen, oder?«
Damit beugt Joe sich wieder über die Motorhaube, steckt den Metallstab zurück in die Halterung und knallt so heftig die Motorhaube zu, dass sogar der Strohballen vor Benes Nase zu zittern anfängt.
»Magst du am liebsten die Sterne, die Tannenbäume oder die Engelsflügel?«, fragt Anna-Sophie, während sie einen Flügel nach dem anderen aus dem goldgelben Plätzchenteig aussticht. Hilla beantwortet die Frage nach kurzem Zögern.
»Die Engelsflügerl hab ich schon als Kind am liebsten gemocht, als ich grad mal so alt war wie du! Heut papp ich manchmal Marmelade dazwischen und staub an Puderzucker drauf … süß sind’s mir am liebsten, die Engerl.«
»Ich mag sie auch ohne backen!«
Schnell steckt das Mädchen einen der Engelrohlinge in ihren Mund, und Hilla lächelt, denn die Kleine leckt sich den Teig so sorgfältig von den Fingern, wie es sonst nur die Katzen tun. Das Mädchen trägt eine bestickte alte Schürze, die noch aus der Zeit stammt, als Hilla kurz nach dem Krieg an ihrer Aussteuer gearbeitet hat. Damals träumte sie von vielen Töchtern und Söhnen, die sich eines Tages mit ihren Familien um den gewaltigen Holztisch versammeln würden. Der alte Holztisch, an dem sie gerade Plätzchen backen, ist neben dem alten Herd das wichtigste Heiligtum in Hillas Küche. Eine besonders tiefe Kerbe stammt noch aus dem Ersten Weltkrieg, als einer von Hillas Großvätern in diesem Haus als Verräter verhaftet wurde. Damals saß noch eine große Kinderschar um diesen Tisch, die Hilla dem Mädchen im Detail beschreibt, ohne die
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