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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Joens
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ihre Nase setzt, um die Noten zu inspizieren. Miriam ist fasziniert von der Krähe. Golem nimmt vorsichtig eines der Brotstücke auf und hält es seiner Herrin hin. Die Diva nimmt es mit einem Nicken entgegen, hat sich aber bereits in die Lieder vertieft, während sie ihr Brotstück mümmelt. Miriams Anwesenheit in ihrem Zimmer scheint sie vergessen zu haben. Miriam wartet höflich, um nicht zu stören, bis die Diva mit ihrem knorrigen Finger an die Wand über ihrem Bett deutet.
    »Sehen Sie! Das da bin ich … Sigrun Seefeld war mit zehn Jahren schon ein Wunderkind, und das können nicht viele von sich behaupten!«
    Miriam erkennt sofort, auf wessen Schoß die alte Dame im Jahr 1930 auf dem Obersalzberg sitzt. Auf dem verblassten Schwarz-Weiß-Foto trägt die zarte Sigrun ein weißes Kleid, hat einen Blumenkranz im Haar, und ihr verkrampftes Lächeln ist völlig leer.
    »Man hat mich nicht gefragt. Man hat mir auch nichts gesagt. Ich sollte nur für ihn spielen. Eine Freude sollte ich ihm machen. Ich sei begabt, hat er gesagt, und mich um ein Küsschen gebeten …«
    Unverwandt sieht die Alte Miriam in die Augen, doch dann schnellt mit einem Mal ihre Hand nach vorne. Die Diva berührt Miriams Bauch, doch selbst ihre vorsichtige Berührung fühlt sich an wie ein elektrischer Schlag, der von oben nach unten durch Miriams Körper fährt, und Miriam spürt, wie die Kleine in ihr sich krümmt. Sie weicht zurück, um schnell aufzustehen. Sie will plötzlich nur noch weg hier.
    »Ich glaube, ich muss jetzt gehen. Es ist schon spät.«
    Die Diva sieht sie fragend an.
    »Ihr kleines Mädchen wird musikalisches Talent haben, das spüre ich. Ist sie wirklich nicht von Joe?«
    Miriam schüttelt panisch den Kopf. Die Alte seufzt und nickt ergeben. Erneut streckt sie ihren Finger nach dem Foto über dem Kopfende ihres Bettes aus.
    »Die meisten Menschen spüren nicht, wenn sie dem Bösen zum ersten Mal begegnen. Wie sollen sie auch wissen, ob es das Böse ist? Kinder haben feinere Antennen, aber sie nützen ihnen nichts, wenn man ihnen Gehorsam abverlangt. Ich saß nur ein Mal auf seinem Schoß. Meine Eltern wurden danach im Dorf wie König und Königin gefeiert. Dieses Foto hing beim Bürgermeister, im Wirtshaus und sogar in der Kirche. Ich war berühmt, aber etwas in mir war danach für immer zerstört.«
    Die Diva schüttelt den Kopf und redet weiter, so als hätte Miriam ihr eine Frage gestellt.
    »Nein, leider, ich habe selber keine Kinder. Ich war einmal kurz verheiratet, aber ich habe sie alle verloren, meine Kinder, ähnlich wie meine Schwester Hilla. Nur wollte bei mir gar keins aufwachsen, weil ich wohl ganz und gar vergiftet war. Verstehen Sie das? Ich meine, ich hatte trotzdem meine Karriere als Sängerin. Ich habe die Isolde, die Königin der Nacht und all unsere schönen deutschen Lieder gesungen, die er auch so geliebt hat. Aber trotzdem war ich vergiftet. Ich kam ihm zu nah …«
    Die Diva sieht in die Ferne, und Miriam beginnt mit einem Mal zu verstehen, wovon die Frau mit abwesendem Blick redet.
    »… etwas wurde in mir zerstört, als ich gesehen habe, was er getan hatte. All die Leichen der Kinder und Frauen. Er hat die begabten jüdischen Musiker aus Salzburg und Wien einfach verhungern lassen und noch viel Scheußlicheres befohlen. So ein Leid tilgt man nicht in einer einzigen Generation, verstehen Sie? In unseren Bergen weiß man, dass solche Taten nicht vergessen werden dürfen …«
    Miriam nickt, aber sie bekommt kaum Luft. Der beheizte Raum ist auf einmal so stickig, dass sie dringend an die frische Luft muss.
    »Danke, dass Sie sich für mich Zeit genommen haben. Ich lasse Ihnen die Noten hier …«
    Die Alte nickt, ergreift Miriams Hand und drückt sie, hebt aber erneut warnend ihren Finger.
    »Gott zeigt uns den Weg, Kind …«
    Der Blick der Alten wandert zum Fenster, über dem ein Kruzifix mit einem goldenen Jesus hängt, während sich ihr Mund zu einem Lächeln aus Pergament verzieht.
    »Da draußen sind viele Mächte am Werk. Die Kreaturen der Finsternis, aber auch die guten Geister, die uns endlich Erlösung bringen. Mein Neffe wird es schaffen. Jetzt, da Sie mit den Kindern gekommen sind, wird er es schaffen. Er wird den Kreis durchbrechen. Nicht wahr, Golem …?
    Wieder krächzt die Krähe zustimmend. Die Alte schiebt Miriam den Stapel mit den Noten hin und nickt zufrieden.
    »Sie entscheiden über die Musik mit meinem Neffen zusammen, und ich sag dem Pfarrer Bescheid. Ab jetzt sind Sie meine

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