Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
durch die kaputte Sohle nach oben gewandert. Bis über ihren von der Schwangerschaft angeschwollenen Knöchel ist die Eiseskälte den Strumpf entlanggekrochen. Er ist völlig durchnässt, und ein schmerzhaftes Stechen erinnert sie daran, dass sie ihre Füße hochlegen muss und dringend neue Stiefel braucht.
Aber der Cowboy gibt weiterhin den Fels. Jetzt will er sie auf die Probe stellen. »Sind des überhaupt deine Kinder, oder sind sie es nicht?«
»Das ist Interpretationssache.«
Kurz und knapp. Bloß nicht zu viel verraten. Im Hintergrund morst das eine Scheinwerferauge von Molly unentwegt weiter. Wenn sie nur besser aufgepasst hätte, als Bene sie mit dem Morsealphabet genervt hat. Sicher will er ihr etwas sagen. Aber was?
Unverwandt sieht der Cowboy Miriam immer noch an.
»I mog jetzt die Wahrheit hörn und koa Interpretation. San die zwoa deine Schratzn oder net?«
Seine Augen bohren sich in ihre, bis Miriam wegsehen muss. Ihre Stimme ist leise.
»Ja, Bene und Anna-Sophie sind jetzt meine Kinder, aber geboren habe ich sie nicht, falls Sie das meinen.«
Der Cowboy nickt. Seine felsengleiche Postur lockert sich ein klein wenig, aber seine Arme sind nach wie vor unnachgiebig verschränkt.
»Und weiter?«
»Was weiter?«
»Und Nummer drei?«
Jetzt wird Miriam der Mann dann doch ein wenig zu dreist. Um sich mehr Gewicht zu verleihen, streckt sie ihren Neunmonatsbauch energisch nach vorne.
»Dieses hier gebäre ich in wenigen Tagen, und ehrlich gesagt empfinde ich Ihre Haltung mir gegenüber als ausgesprochen dreist. Es geht hier lediglich um eine Taxifahrt!«
»Na gut! Ich nehme auch EC-Karte, Mastercard oder Visa. Die Zentrale überprüft gerne Ihre Bonität!«
Mit einem Mal ist keine Spur Bayerisch mehr in seiner Stimme. Wie eine Art Mantra wiederholt er den hochdeutschen Satz ein zweites und sogar ein drittes Mal und streckt ihr frech die Hand entgegen.
»Ich kann auch formell und hochdeutsch. Besonders, wenn ich wegen eines betrügerischen Fahrgastes die Polizei um Hilfe bitten muss, verfüge ich auch über einen wirklich beeindruckenden Wortschatz.«
Miriam sieht auf die fordernde Hand, die sich ihr entgegenstreckt, und weiß mit einem Mal, dass sie nicht die geringste Chance hat. Sie hat verloren und schüttelt mit ehrlichem Bedauern ihren Kopf.
»Leider habe ich meine Karten auch in meiner Brieftasche …«
»… die unglücklicherweise in Haidhausen liegt.«
»So ist es!«
»Na, dann fahre ich jetzt unglücklicherweise auch einen anderen Fahrgast durch die Gegend, der zumindest kein Lügner ist.«
»Miri ist keine Lügnerin!«
Bene und Anna-Sophie sind aus dem Taxi gekommen und stellen sich schützend an je eine Seite der Schwangeren. Anna-Sophie zupft an Joes Jacke.
»Miri ist in Not, und sie bekommt ein Baby! Du musst uns bitte, bitte jetzt nach Hause fahren!«
Drei paar Augen sehen den Cowboy vorwurfsvoll an, aber Joe bewegt sich nach wie vor keinen Millimeter.
»Ich muss gar nichts, wenn man mich nicht bezahlt!«
»Dann bist du blöd!«
Bevor Miriam es verhindern kann, kickt Anna-Sophie Joe jetzt gegen sein Schienbein und schreit ihn an: »Immer dieses fiese Geld! Ich hasse Geld!«
Miriam ist entsetzt.
»Anna-Sophie! Reiß dich zusammen! Wenn dieser Taxifahrer uns nicht nach Hause fahren will, dann ist das sein gutes Recht. Wir finden schon ein anderes Taxi.«
Aber Anna-Sophie ist nicht zu beruhigen.
»Er hat es versprochen. Ehrlich, Miri. Er hat es versprochen!«
Auch Bene funkelt Joe jetzt wütend an.
»Das stimmt. Du hast gesagt, dass du uns nach Hause fahren wirst, wenn wir dir ganze Wahrheit sagen. Hast du doch, oder? Das hast du doch gesagt? Sei ehrlich!«
Joe holt tief Luft. Er sieht zwischen Benes wütendem Gesicht und der leise weinenden Anna-Sophie hin und her und will gerade antworten, aber Miriam hat bereits ihre Arme um die beiden gelegt und zieht sie sanft mit sich weg von dem Cowboy.
»Kommt, Kinder, übertreibt es nicht, denn sonst ruft er am Ende noch die Polizei, und das wollen wir doch lieber nicht, oder? Irgendwie kommen wir schon zurück nach München. Vielen Dank für Ihre Hilfe! Geben Sie mir Ihre Karte, dann melde ich mich wegen des Geldes.«
Joe schüttelt stumm den Kopf. Miriam nickt mit einem schwachen Lächeln, das so etwas wie ein Dankeschön sein soll. Aber mit einem Mal sieht die Frau müde und alt aus. Ihre Arme schützend um den Jungen und das weinende Mädchen gelegt, geht sie mit ihrem kaputten Stiefel mit der roten Schleife die
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