Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Straße entlang an Molly vorbei. Joe fühlt sich schuldig. Wie immer, wenn er sich so fühlt, geht sein Temperament mit ihm durch. Wütend läuft er den drei Gestalten hinterher.
»Des derf doch net wahr sein! Jeder Mensch hat heutzutage irgendwo a Geld. Man hat a Kindergeld, oder man hat a Krankengeld. Bei di Frauen gibt’s a Mutterschutzgeld. Dann wäre da noch Hartz IV oder des verdammte Weihnachtsgeld!«
Anna-Sophie hört vor Schreck auf zu weinen, dreht sich um und sieht Joe mit großen Augen an.
»Wir haben kein Geld. Und Maria und Josef hatten auch kein Geld. Das weißt du doch!«
Einen Moment lang sieht das kleine Mädchen ihm nur in die Augen, lang und tief, wie sie es schon getan hat, als er ihr Josef war. Dann legt sie zutraulich ihre Hand in die von Joe. Ihr Blick könnte selbst die Antarktis zum Schmelzen bringen.
»Wenn ich einmal Geld habe, gebe ich es dir. Ich krieg Taschengeld, wenn ich in die Schule komme. Das kriegst du alles, wenn du uns jetzt nach Hause fährst. Und wenn es nicht reicht, dann werd ich einmal ein Star so wie die Kinder im Fernsehen. Ich kann singen und tanzen und lerne noch ganz viel mehr. Damit verdiene ich Millionen und gebe sie dir. Fest versprochen!«
In Molly läuft das Gebläse auf vollen Touren. Joes Passagiere sind vom Schnee genauso feucht geworden wie er. Alle Scheiben sind leicht beschlagen. Der Geruch von feuchtem Leder mischt sich mit dem Cowboygeruch und den Bröseln der Zimtkekse. So riecht Geborgenheit. Das denkt Miriam noch, als ihre Augenlider vom regelmäßigen Schwisch-Schwisch der Scheibenwischer immer wieder zufallen. Sie ist plötzlich unendlich müde. Aber wieder einmal ist es gut gegangen. Die nächste Zieletappe wäre geschafft. Zu Hause würden sie weitersehen. Die spätere versprochene Zahlung an den Taxler würde sie zu den anderen in den blauen Schuhkarton ihrer Schwester legen, auf den Miriam mit ihrer ordentlichsten Schrift das Wort »Schulden« geschrieben hat. Dann würde sie den Kindern aus irgendwelchen Resten ein Abendessen zaubern. Einen kleinen Rest Milchreis sowie ein halbes Glas Himbeermarmelade hat sie heute Morgen noch im Vorratsschrank entdeckt. Das würde reichen. Und wenn nicht, könnte Bene sicher noch ein weiteres Päckchen Nudeln bei der netten alten Dame im vierten Stock bekommen, wenn er dafür ihren Mops ausführt. Der Abend wäre also gerettet. Und wenn die Kinder endlich im Bett sind, wird Miriam sich ein warmes Fußbad gönnen und tief in sich einsinken lassen, was diese wundervolle Hebamme zu ihr gesagt hat. Sie bekommt eine Tochter. So als würde die Kleine in ihr ahnen, dass Miriam gerade an sie denkt, boxt sie energisch gegen Miriams Bauchdecke. Miriam legt zunächst eher wie mechanisch ihre Hand auf die Stelle, um das Baby zu beruhigen, aber die Tritte hören nicht auf. Ein wenig wie eine Samba ist der Rhythmus der kleinen Füße, und Miriam beginnt wider Willen immer mehr zu lächeln. Sanft stupst sie Anna-Sophie an, die fröhlich summend begonnen hat, Strichmännchen an Mollys beschlagene Scheiben zu malen.
»Fühl mal!«
Anna-Sophie legt ihre Hand auf die Stelle und beginnt zu kichern.
»Er tritt dich aber heute doll!«
»Es wird ein Mädchen, hat die Hebamme mir gesagt. Ihr bekommt eine kleine Schwester.«
Diese Bemerkung lenkt Bene zumindest einen kurzen Moment von seinem Gameboy ab. In seiner Stimme schwingt so etwas wie Enttäuschung mit, als er sich vom Beifahrersitz aus nach hinten umdreht.
»Echt? Kein Bruder?«
»Nein, laut Hebamme wird es ein Mädchen.«
»Schade!« Dann wird weitergespielt.
Joe grinst in sich hinein. Er muss sich aufs Fahren konzentrieren, denn das Schneetreiben verschlechtert die Sicht auf der Autobahn, und der Untergrund ist glatt. Trotzdem löst Benes Enttäuschung einen Anflug von wehmütiger Erinnerung in dem Cowboy aus.
»Wieso is a Madel jetzt für dich schlechter als a Bua? Lieber solltest du dir jetzt schon Gedanken machen, wo du in diesem Frühling einen Zwetschgenbaum herbekommst!«
»Hä?«
»Da, wo ich herkomm, da pflanzt der Vatta oder der Bruda für jedes Madel an Zwetschgenbaum oder, wie man auf Hochdeutsch sagt, einen Pflaumenbaum.«
»Und wieso?«
Anna-Sophie beugt sich neugierig nach vorne.
»Wieso eine Zwetschge und keinen Apfel?«
Der Cowboy wird verlegen.
»Des is halt a so!«
»Aber wieso ist das so?«
Der Cowboy räuspert sich.
Miriam schaltet sich ein: »Na ja, vor allem pflanzt die Familie für ein Mädchen immer einen Pflaumenbaum, damit
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