Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
grazilen blonden Bilderbuchfrau.
»Seit vier Jahren habe ich meine Kinder nicht mehr gesehen. Gerade habe ich erfahren, dass sie auch dieses Weihnachten nicht kommen werden. Habe ihnen vor einem Monat das Reisegeld geschickt, so wie ich es jede Sommer- und jede Winterferien tue. Aber die Mutter sagt immer kurz vorher ab. Mal sind die Kinder krank, oder die Großmutter ist krank, oder der verdammte Hund hat die Masern … So sind die netten Mütter … reine Engel!«
Conni versucht Bärli zu beruhigen, aber der Saxofonist schlägt seine Hand weg.
»Als ob du nix zum Thema egoistische Solofüchse zu sagen hättst! Dir geht es doch genauso …«
Conni schüttelt den Kopf.
»Ich hätt’ schon etwas zu sagen, aber ich glaube nicht, dass es unsere verehrte Kaiserin des Halbwissens hier interessiert!«
Conni erhebt sich von seinem Klavierstuhl vor dem alternden Keyboard, geht einen halben Schritt in Richtung Miriam, rückt den Rollkragen seines schwarzen Existenzialistenpullis zurecht, der ein wenig zu straff über der leicht weibischen Hüftrundung sitzt, und hebt mit sichtlichem Vergnügen seinen Lehrerzeigefinger.
»Sie haben anscheinend von Musik keine Ahnung, Verehrteste!«
Miriam schnaubt verächtlich und kontert mit flächendeckend eisigem Lächeln.
»Halbwissen? Wieso?«
Conni legt los. Mama Cass hätte zwar mit der Interpretation des Liedes im Jahr 1968 durch sieben Millionen verkaufte Kopien weltweit den größten Erfolg gehabt, aber das hätte noch lange nicht bedeutet, dass das Lied ursprünglich von den Mamas & Papas sei. Es sei lediglich eine Interpretation, eine von vielen. Ob Miriam die Namen von weiteren Interpreten brauchen würde? Miriams Gerüst aus Selbstgefälligkeit und Männerwut gerät kurz ins Wanken. Wie immer imponiert es ihr, wenn Menschen es fachlich besser wissen als sie. Außerdem ist dieser Conni ganz anders als ihr mathematischer Romeo, der in solchen Situationen einfach das Feld zu wechseln pflegte, um Miriam seine Überlegenheit ins Gesicht zu reiben, Mathe schlägt Musik. Conni spürt Miriams plötzliche Abwesenheit in Gedanken. Kopfschüttelnd geht er auf seinen Platz zurück, als Miriam sich plötzlich räuspert.
»War dumm von mir. Tut mir leid. Und Egoisten seid ihr ganz bestimmt nicht, denn sonst säßen wir drei ja jetzt nicht hier. Gerne würde ich es genau wissen. Ich habe dieses Lied mindestens hundert Mal gesungen, bei Geburtstagen, Festen, Schulaufführungen …«
Miriam lächelt entschuldigend. Diesmal ist es ein echtes Lächeln, in dem zwar Schmerz und Sehnsucht liegen, aber auch der Versuch, sich Mühe zu geben. Das Lächeln wandert zaghaft in Richtung Cowboy, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hat. Anscheinend in sich versunken, klimpert er auf seiner Gitarre ein paar Töne, sieht prüfend zu ihr auf. Sein Blick ist belustigt.
»Egoistische Solofüchse … so, so.«
»Es ist mir nur so rausgerutscht. Ich war plötzlich irgendwie …«
»… sauer?«
Conni mischt sich mit einem versöhnlichen Grinsen ein.
»Auf die Männer im Allgemeinen oder auf den Kindsvater im ganz Besonderen?«
Conni deutet auf Miriams Bauch und signalisiert mit angedeutetem Nicken Verständnis. Bärli, der seine Brieftasche samt Kinderfotos wieder einsteckt, nickt bestätigend. Und selbst aus der hintersten Ecke, hinter dem Wagenrad, kommt ein Kommentar: »Keine Frage, wir Männer können ganz schön beschissen sein!«
Der volle, ausdrucksstarke Bariton mit Berliner Note kommt von Rudi. Er winkt gut gelaunt in Miriams Richtung, macht aber keinerlei Anstalten, unter seinem gemütlichen Schlafsack hervorzukommen, wo er im Schein der Lampe in einem zerfledderten Taschenbuch liest. Der Weg des Samurai .
Miriam beginnt sich zu entspannen.
»Wer hat das Lied denn alles interpretiert?«
Miriam will es wirklich wissen, und Conni spult Jahreszahlen, aber vor allem auch Namen ab, die von Joe und Bärli noch ergänzt werden.
Auch in der folgenden halben Stunde gibt man sich Mühe zu zeigen, dass Miriam mit ihren Kindern willkommen ist, zumindest bis sie in München ein geeignetes Schlafquartier gefunden hat. Dann macht die Band eine Pause. Joe vergewissert sich nett, ob Miriam per Handy bei Freunden in der Stadt für das Wochenende Unterschlupf gefunden hat. Sie beschließen, so gegen zehn aufzubrechen. Joe wird die Familie dann zu ihrem Quartier in Schwabing fahren.
Rudi hat begonnen, dezent zu schnarchen. Der Weg des Samurai liegt aufgeschlagen auf seinem Gesicht. Vorsichtig
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