Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
für die kapitalistischen Forderungen der ersten Geige ergriffen, sodass seine Mutter ihn wütend ins Bett geschickt hatte. Geld macht alles kaputt, hatte sie ihm später erklärt, als die »Stringolinas« an diesem Abend gegangen waren, ohne sich geeinigt zu haben. Sie war merkwürdig traurig gewesen, seine Mutter. Heute wünscht Bene sich, er hätte sie in den Arm genommen und getröstet, so wie sie es immer mit ihm getan hatte. Hatte er aber nicht. Stattdessen hatte er von dem blöden Gameboy geredet, der mit Spielen »nur« zweihundert Euro kosten sollte. Nur! Heute weiß Bene, wie viel Essen Miriam für ihn und Anna-Sophie von zweihundert Euro kaufen könnte. Vorsichtig tastet er nach dem Gameboy in seiner Jackentasche, der letztendlich trotz allem unter dem Weihnachtsbaum gelegen hatte. Bis jetzt musste Bene ihn noch nicht hergeben. Er seufzt. Höchstwahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Gameboy Miriams Auto, Carolas Kamera, zwei Familienhandys und vielen anderen Dingen folgen wird, um ihre Bäuche zu füllen. Aber Bene wird seinen Gameboy solange es geht verteidigen. Er hat ihn von seinem Vater bekommen, damit er lernt zu kämpfen, wie Wassili halb im Scherz sagte, denn er hielt wenig von elektronischem Spielzeug. Aber sollte sein Sohn schlechter dastehen als die anderen Jungs in der Klasse, nur weil sein Vater ein verbohrter Migrant aus Georgien war? Wassili hatte es mit einem Lächeln gesagt, aber er hatte immer kämpfen müssen für ihr Königreich, wie er es gerne nannte. Wenn er mit Bene nach dem gemeinsamen Wochenendputzen mit auf dem Rücken verschränkten Händen zufrieden durch ihre kleine Wohnung schritt, inspizierte er Böden, Fenster, Klo und Badewanne, so als wären sie beim königlichen Appell. Die grobe Putzarbeit war ausschließlich dem König und seinem Kriegsminister vorbehalten. Wassili sprach vom Westflügel, wenn es um die beiden winzigen Kinderzimmer ging, und seine besondere Aufmerksamkeit galt dem Patio, womit er den Küchenbalkon meinte. Die Instandhaltung des Patios unterstand ausschließlich Kriegsminister Bene, der mit dem Besen einen Dauerkampf gegen die feindlichen Blätter der riesigen Esche im Hof führen musste. Wenn die Abschussrampe, also das Balkongeländer, schließlich blitzblank war, stellten sie nach dem Putzen ihre königlichen Bataillone aus Papierfliegern auf, die Papa und er mit fröhlichem Geheul gegen die feindlichen Königreiche aussandten.
Bene schnürt es den Hals zusammen. Er spürt eine unglaublich starke Sehnsucht nach ihrem Schloss aus vier Zimmern mit Balkon, das vielleicht in diesem Moment schon von den Möbelpackern völlig ausgeräumt ist. Ein neues Namensschild würde bald unten an der Haustür stehen, und es würde sein, als hätte es ihre Familie dort nie gegeben. Ein einziger blöder Lastwagen löscht alles Schöne aus, für immer. Die Vorstellung seiner toten Eltern auf der nächtlichen Autobahn bringt Benes Daumen zum Zucken. Er wird kämpfen, sein ganzes Leben lang, so wie sein Papa. Wenn es nach Bene ginge, würde er die Möbelpacker, die Frau vom Jugendamt und die Polizei mit gezielten Geschossen ein für allemal zum Schweigen bringen. Wie ein Sieger würde er mit eigenen Händen das Bett seiner Schwester zurück in ihr Königreich tragen. Dann würden Anna-Sophie und er höchstens für Tante Miri und vielleicht auch für diesen Cowboy die Tür öffnen, wenn Joe wirklich ein guter Typ ist.
Bene blinzelt schnell etwas aus seinen Augen, das keinesfalls eine Träne sein darf. Tränen haben Papa nicht gefallen. Tränen gehörten Anna-Sophie. Manchmal weinte auch Mama, wenn sie mal wieder am Ende ihrer Kräfte war, sich über alles aufregte und nicht einmal Lust zum Kochen hatte. Das war ein Zustand, der ihr kleines Königreich mit monatlicher Regelmäßigkeit ins Wanken brachte. Papa ging dann immer an den kleinen Schrank aus Nussholz, der nur ihm ganz allein gehörte. Es war das Gesellenstück von Papas Großvater in Tiflis, der ein begabter Schreiner und Intarsienkünstler in der Urzeit war, wie Bene sie heimlich nannte. Nur schwer kann Bene sich in eine Zeit zurückdenken, wo es in Tiflis so gut wie keine Autos gab und die Menschen keinen Strom hatten. Zu der »guten Flasche«, die Papa in dem Schränkchen aufbewahrte, gehörten spezielle kleine Gläschen, die nur der König selber abwaschen und abtrocknen durfte. An den Tagen, an denen der Schlosssegen schief hing, gab es ein Ritual zwischen Mama und Papa, bei dem die Kinder
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