Mariana: Roman (German Edition)
zerstört, und selbst wenn sie die Register weitergeführt haben, sind die Eintragungen oft bedauerlich unvollständig. Dieses Register, sehen Sie, endet im Jahr 1626, und das nächste beginnt erst wieder 1653, fast dreißig Jahre später. Aber vielleicht finden Sie noch einen späteren Hinweis …«
Ich hätte wissen müssen, daß die Mühe vergebens sein würde. Geoffs Vater mit seinem passionierten Interesse für Familiengeschichte hatte diese Kirchenregister sicher schon nach William de Mornays Nachkommen durchsucht und nichts gefunden.
Der Tod Mariana Farrs am dritten Oktober 1728 war in einer flüssigen, sachlichen Handschrift getreulich verzeichnet worden. Aber Richards Schicksal blieb ein Geheimnis.
Mit abwesendem Stirnrunzeln starrte ich jetzt zu dem Bildnis hinauf. Ich hob eine Hand und fuhr mit den Fingern die fließende Linie des gemalten Umhangs nach, der in kunstvollen Falten von den Schultern des leblosen Richard fiel. Es war ein Fehler. Schon als meine Fingerspitzen sich von der Leinwand lösten, begannen die Wände zu schwanken, die Farben des Gemäldes verliefen, als hätte die Hand des Künstlers nachlässig mit dem Pinsel darüber gestrichen, und der Umriß des stolzen, spöttischen Gesichts verschwamm. Ich trat hastig einen Schritt zurück und kniff die Augen zusammen.
Ich kann nicht , flehte ich still. Siehst du denn nicht, daß ich jetzt nicht kann? Ich habe nicht genug Zeit …
Wie als Antwort auf meine Gedanken ließ das Schwindelgefühl nach, die schwankenden, bebenden Wände verfestigten sich und wirkten friedlich und unschuldig, als ich es wagte, die Augen zu öffnen. Mein Atem ging in kurzen, nervösen Zügen, die meine Lungen schmerzen ließen. Schnell wandte ich mich von dem Porträt ab und stolperte aus dem Raum, wobei ich mich kurz an dem tröstlich massiven und soliden Türpfosten abstützte. Schallendes Mädchenlachen drang durch die halboffene Vordertür in den dunklen Flur, und ich lenkte meine Schritte dorthin wie eine Gefangene, die sich nach frischer Luft und der Wärme des Sonnenlichts sehnt.
Ich kam nicht bis zur Tür. Ich war nur ein paar Schritte gegangen, als das Gefühl wieder über mich kam, diesmal mit einer gewaltsamen, fast strafenden Macht, die mir die Schweißperlen auf die Stirn trieb und mich zwang, mich mit den Fingern an der getäfelten Wand anzuklammern, um nicht zu stürzen. Ich versuchte, die Empfindung zurückzukämpfen, aber es gelang mir nicht. Diesmal schwoll das hohe Klingen betäubend in meinen Ohren an, und ich taumelte hinab in die Dunkelheit. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bevor der Sturm sich legte und ich mich in dem stillen Flur stehend wiederfand, mit vor Erwartung zitternden Händen.
Das Geräusch von Schritten erklang in dem Hauptkorridor hinter mir, und ich fuhr herum, so daß meine Röcke über den glänzenden Holzboden fegten. Richard de Mornay blieb jäh ein paar Meter von mir entfernt stehen, und ich wartete auf seine Reaktion.
Es war ein schockierendes, dreistes Verhalten von mir, ihn so unangekündigt zu besuchen, und ich war mir nicht ganz sicher, warum ich es getan hatte. Vielleicht weil mein Onkel und meine Tante nach Salisbury gefahren waren und die ungewohnte Freiheit mich kühn gemacht hatte. Oder es lag an dem, was Richard an jenem Markttag zu mir gesagt hatte, nämlich daß ich ihm nicht wie ein Feigling vorkäme. Ich hatte die lachende Herausforderung in seinen Augen an diesem Tag wohl bemerkt, und ich sah sie auch jetzt wieder aufblitzen, als er einen Schritt nach vorn ins Licht trat und galant seinen Kopf beugte.
»Willkommen auf Crofton Hall«, sagte Richard de Mornay.
Kapitel dreiundzwanzig
Er kam mit einem wohlwollenden Lächeln auf mich zu: »So seid Ihr also doch kein Feigling«, sagte er, und ich glaubte, eine Spur von Freude in seinem Ton zu vernehmen. »Ihr wagt Euch in die Höhle des Löwen.«
Er selbst sah an diesem Tag weniger einschüchternd aus. Statt seiner üblichen schwarzen Kleidung trug er einen Umhang aus feinem, hellgrauem Stoff, und sein einfaches Halstuch lag über einem Wams aus gelber Seide, das mit einer breiten Schärpe gehalten wurde. Es gefiel mir, daß er nicht der geckenhaften Londoner Mode folgte. Seine grauen Kniebundhosen waren nicht weit und mit Bändern versehen; sie lagen eng um seine muskulösen Oberschenkel und verschwanden in den hohen, praktischen Stiefeln des Landedelmannes. Keine hochhackigen Schuhe mit Schnallen und Schleifen für den Gutsherrn von Exbury.
Ich
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