Mariana: Roman (German Edition)
sprechen.«
Er blickte einen langen Augenblick unbeweglich auf mich herab, die Augen gedankenvoll zu Schlitzen verengt.
»Seltsam«, sprach er dann langsam, »ich hätte Euch nicht für einen Feigling gehalten.«
Noch bevor ich die Chance hatte, etwas zu erwidern, berührte er den Hals des Hengstes lose mit den Zügeln, ritt davon, und zum zweiten Mal starrte ich in tölpischer Verwirrung hinter ihm her.
»Mariana!« Rachel rief mich von der Straße aus, und ich ging zögernd auf sie zu.
»Ich dachte schon, du seist verlorengegangen«, sagte sie, reichte mir ein eingepacktes Stück Rindfleisch und verteilte ihre eigenen Päckchen so, daß sie sie tragen konnte. »Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?«
»Ich habe ein Buch gekauft«, nickte ich und zeigte es ihr.
Rachel hob die Augenbrauen.
»Du wirst es vor Jabez verstecken müssen«, bemerkte sie sachlich. »Er hält nichts davon, wenn Frauen zum Vergnügen lesen.«
Ich fing an zu glauben, daß mein Onkel nichts davon hielt, wenn irgend jemand irgend etwas zum Vergnügen tat, aber ich biß mir nur auf die Lippen und umfaßte mein Buch fester. Wir machten uns schweigend auf den langen Heimweg, jede mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Mit jedem Schritt schien das schwere Fleischstück noch schwerer und sperriger zu werden. Als wir erst ein kurzes Stück zurückgelegt hatten, ließ ich es beinahe ganz fallen.
»Schade, daß Evan Gilroy nicht ritterlich genug war, um dieses elende Stück für uns nach Hause zu tragen«, sagte ich bedauernd zu Rachel, während ich versuchte, meine Last neu zu greifen.
Ihr Kopf fuhr erschrocken herum, ihre Augen blickten groß und beunruhigt. »Du hast uns gesehen?«
Ich nickte, gerührt von ihrer Verlegenheit. »Er ist ein gutaussehender Mann, Rachel.«
Sie senkte den Kopf, um mich nicht anzusehen.
»Ich bin Elias Webb versprochen, dem Sheriff von Exbury«, sagte sie mit ruhiger, klarer Stimme.
Ich hatte den Sheriff gesehen. Er war ein strenger, unnachgiebiger Mann mit einem harten, humorlosen Mund und einem ständig finsteren Gesichtsausdruck, der zu seiner dunklen Kleidung paßte.
»Oh Rachel.« Ich konnte meine Bestürzung nicht verbergen.
Sie sprach stoisch weiter.
»Er ist ein Freund deines Onkels und ein ehrlicher Mann. Die Hochzeit findet Ende des Sommers statt.«
Ich sagte nichts mehr, und nach einem Moment sah sie mir wieder ins Gesicht, ihr Ausdruck fast flehend.
»Verstehst du«, bat sie, »es würde sich daher nicht für mich ziemen, mit Evan Gilroy zu sprechen. Und natürlich würde ich so etwas niemals tun.«
Ich drückte beschwichtigend ihre Hand. »Ich habe nichts gesehen«, antwortete ich.
Die Anspannung in ihrem Gesicht löste sich in einem Lächeln auf, und ich sah das Zwinkern in ihre vergißmeinnichtblauen Augen zurückkehren.
»Und ich auch nicht«, war ihre rätselhafte Antwort.
Wir sprachen nicht mehr, bis wir nach Exbury und zu dem einsam gelegenen grauen Haus kamen. Tante Caroline war in der Küche, als wir eintraten, und stillte das Baby John neben dem Kamin. Sie sah unglaublich grau und erschöpft aus, und ihre Augen waren gerötet.
»Jabez ist für eine Zeitlang nach Salisbury geritten«, teilte sie uns teilnahmslos mit. »Er hat dort irgendwelche Geschäfte zu erledigen.«
Das war keine unwillkommene Neuigkeit. Caroline war zwar farblos und schwach, aber doch von angenehmem Wesen, und ich hatte das Gefühl, daß wir mit der Zeit Freundinnen werden konnten. Sie war nicht viel älter als ich, obwohl sie so aussah und ihr Haar durch die Bürde ihres elenden Daseins schon weiß wurde. Ich lächelte sie an, aber sie zeigte keine Reaktion.
»Ein Mann kam vorhin vorbei«, sagte sie zu mir. Es lag kein Interesse in ihrer Stimme. »Ein Bediensteter vom Herrenhaus. Er hat ein Päckchen für dich dagelassen. Sagte, du hättest es auf dem Markt fallen gelassen. Es liegt dort auf dem Tisch.« Sie wies vorsichtig mit der Schulter in die Richtung, um ihr saugendes Baby nicht zu stören.
Ich sah hin. Es war ein kleines, flaches Päckchen, das in helles Papier verpackt und mit einem farbigen Band umwickelt war. Ich war äußerst verwundert darüber, wollte aber Rachel und ihre ältere Schwester nicht sehen lassen, was ich empfand.
»O wie schön«, rief ich strahlend. »Ich hatte schon befürchtet, daß ich es verloren hätte. Danke, Caroline.«
Meine Tante blickte mit einem Anflug von Neugier darauf, sah kurz auf das Buch in meiner anderen Hand und hob eine farblose Augenbraue, sagte
Weitere Kostenlose Bücher