Mariana: Roman (German Edition)
aber nichts. Noch machte Rachel eine Bemerkung, zu meiner Erleichterung.
Kurze Zeit später, allein oben in meinem Zimmer, legte ich das Päckchen auf mein Bett und wickelte es vorsichtig aus, mein Herz pochte vor Erwartung. Ich konnte den festen Umriß des Inhalts schon durch das Papier spüren, bevor ich es noch ganz entfernt hatte.
Dennoch war ich unvorbereitet auf den tatsächlichen Anblick des schönen Armbands mit dem Reigen aus blauäugigen Paradiesvögeln, welches auf die grobe, handgewebte Bettdecke fiel.
Kapitel sechzehn
»Julia.«
Ich zitterte am ganzen Körper, oder zumindest fühlte ich mich so. Vielleicht war es der Raum selbst. Auf jeden Fall schienen die Wände nicht ganz fest zu sein; sie schimmerten und tanzten vor meinen Augen, als ob das unmerklich sich verändernde Tageslicht durch tausend schwankende Prismen gefiltert würde.
»Julia.« Wieder sprach diese Stimme, und ich drehte langsam und mit großer Mühe meinen Kopf in ihre Richtung.
Zuerst konnte ich nichts erkennen außer der offenen Tür meines Zimmers und einer komischen, grauen, formlosen Gestalt, die mir die Sicht auf den Flur versperrte. Eine graue, formlose Gestalt, die anschwoll und wie eine Wolke auf mich zu schwebte und mich mit einer männlichen Stimme ansprach, die entschieden schärfer im Ton wurde.
»Julia.«
Mein erster Gedanke war: Das ist nicht mein Name , und dann dachte ich: Aber ich kenne diese Stimme , und dann: Oh, es ist Tommy , und wirklich stand da mein Bruder über mich gebeugt, mit demselben Ausdruck auf dem Gesicht, den mein Vater immer hatte, wenn eines von uns Kindern krank geworden war. Es war eine Mischung aus Bestürzung und Besorgnis, gemischt mit einer Art mitleiderregender Hilflosigkeit, und meine Reaktion darauf kam automatisch.
»Mit mir ist alles in Ordnung, Tommy. Ehrlich.« Und dann, als die Wirklichkeit wieder die Oberhand gewann: »Was um Himmels willen machst du hier?«
Er überhörte meine Frage und starrte weiter auf mich herab, doch in seinen Augen lag nun eher Faszination als Besorgnis. »Du warst gar nicht hier«, stellte er mit gepreßter Stimme fest, »stimmt’s? Du warst woanders. Jemand anders.«
Ich erhob mich steif, zuerst in die kniende, dann in die stehende Position, und meine Gelenke knarrten unwillig. Stumm nickte ich zur Bestätigung.
Es gab für mich keinen Zweifel über das, was gerade passiert war. Mein Haar war naß, als ich es aus dem Gesicht schob, und an meinen Schuhen klebte Matsch, der auch auf dem Holzfußboden Spuren hinterlassen hatte, wo ich durch das Atelier gelaufen war. Meine Hände waren steif und rot vor Kälte, ich sah stumpf auf sie herab, als wäre ich überrascht, daß sie zu meinem Körper gehörten.
»Mein Gott«, schnaufte Tom, der mich immer noch anstarrte.
Es war das erste Mal, daß ich ihn das sagen hörte, seit er Oxford verlassen hatte. Er legte seinen Kopf schräg und verengte die Augen. »Hast du etwas Brandy im Haus?«
»Was?« Verwirrt sah ich auf meine Armbanduhr. »Tom, es ist noch nicht einmal halb elf. Meinst du nicht, daß es dafür noch ein bißchen früh ist? Besonders für einen Mann der Kirche.«
Mein Bruder grinste respektlos. »Ich bin sicher, Gott würde mir verzeihen, wenn ich ein ganzes Fäßchen tränke unter diesen Umständen. Aber er soll nicht für mich sein. Du bist es, die einen Brandy braucht, Schätzchen. Du siehst verdammt schlecht aus.«
»Pfarrer dürfen nicht ›verdammt‹ sagen«, erinnerte ich ihn mechanisch.
»Dann ist es ja gut, daß der Bischof nicht hier ist und mich hören kann«, gab Tom zurück und lenkte mich am Arm durch das Zimmer, in den oberen Flur und zur Treppe.
»Ich habe keinen Brandy im Haus«, gab ich nach, »aber im Schrank über dem Küchenherd ist noch etwas Grand Marnier.«
»Ausgezeichnet. Der tut’s auch.«
Ich hatte Schwierigkeiten mit den Treppenstufen wegen der seltsamen Steifheit in meinen Beinen, ein Zustand, der mich verwunderte, bis mir klar wurde, daß ich als Mariana Farr an diesem Morgen einiges an Kilometern gelaufen sein mußte.
Tom plazierte mich wortlos an den Küchentisch, fand den Grand Marnier und schenkte mir eine großzügige Menge in ein hohes Glas ein. Unter seinem strengen, insistierenden Blick trank ich. Der Alkohol floß prickelnd warm durch mein Inneres, ließ mein Gesicht erglühen und vertrieb die Taubheit aus meinen Fingerspitzen. Ich nahm noch einen Schluck, strich mir die feuchten Locken aus den Augen und hob den Kopf, um dem Blick meines
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