Mariana: Roman (German Edition)
ohne Persönlichkeit oder Bedeutung.
Also begann ich, meinem Bruder alles zu erzählen, was ich über Greywethers wußte – daß es Marianas Großvater gehört hatte und dann auf dessen ältesten Sohn übergegangen war, den allgegenwärtigen, unnachgiebigen Jabez Howard. Ich erzählte ihm von der hohläugigen Tante Caroline und von Rachel, die bei ihrer Schwester und ihrem Schwager gelebt hatte, seit diese verheiratet waren. Ich ließ die Bewohner des Herrenhauses mehr oder weniger beiseite, aber Tom hörte auch schon nicht mehr so genau zu. Er war mehr an meinem Ausflug zum Markt an diesem Morgen interessiert.
»Also du und Rachel, ihr seid auf diesem Platz angekommen«, faßte er zusammen, »und … was war dann? Was hast du gemacht?«
»Wir standen dort drüben«, ich wies mit der Hand auf einen Zeitungshändler jenseits der Statue, »und haben einem kleinen Theaterstück zugesehen, und dann haben wir uns getrennt, und ich bin einfach ein wenig herumgeschlendert, wenn du weißt, was ich meine. Bin an einigen Ständen stehengeblieben, aber meistens nur so herumgelaufen. Zum Schluß war ich in dieser Gasse hier, zwischen der Teestube und der Bank.«
Eigentlich keine Gasse mehr, korrigierte ich mich im Stillen. Sie war für den motorisierten Verkehr verbreitert worden, wenn auch immer noch eng für eine Straße, und das Kopfsteinpflaster lag unter einer glatten, schwarzen Teerdecke begraben.
Tom sah zu der Stelle hin.
»Was hast du dort gemacht?«
»Ich habe ein Pferd gestreichelt.«
»Und dann bist du gegangen?«
»Ja. Rachel hatte mich wiedergefunden, und wir gingen nach Hause, und zwar auf demselben Weg, den wir gekommen waren.«
»Aha.«
Ich sah ihn mißtrauisch an. »Du glaubst, ich bin übergeschnappt, stimmt’s?«
»Nein, tu ich nicht! Ich habe nie gesagt –«
»Ach, hör schon auf.« Müde stützte ich meinen Kopf in die Hand.
»Tut mir leid, Tom. Es liegt nicht an dir. Es ist nur … ich weiß nicht, es ist nur, daß alles so verdammt wirklich ist, wenn es passiert, und wenn es dann vorbei ist, fühle ich mich so … so verloren. Als hätte ich alles nur geträumt, ich weiß nicht …«
Meine Stimme erstarb unglücklich, und Tom unterzog mich einer scharfen, brüderlichen Musterung, bevor er die Fahrertür öffnete.
»Also gut«, sagte er munter, »es gibt einen Weg herauszufinden, ob du wirklich heute morgen hier warst.«
»Und der wäre?«
Er warf mir ein herablassendes Lächeln zu. »Meine Liebe, du bist im strömenden Regen auf dem Marktplatz herumgestapft. Irgend jemand hat dich sicher gesehen.«
»Aber die Geschäfte können noch gar nicht aufgewesen sein.«
»Ich wette mit dir, daß zumindest eines schon geöffnet hatte«, war seine entschlossene Antwort, und ich sah ihm nach, als er über den Platz ging und im Zeitungsladen verschwand. Als er etwa zehn Minuten später wieder herauskam, trug er zwei Styroporbecher und sah furchtbar selbstzufrieden aus.
»Kaffee?« bot er an und reichte mir einen Becher, als er wieder in den Sitz glitt und die Tür zuschlug. Es regnete immer noch leicht, und er brachte die Feuchtigkeit mit sich herein; Regentropfen glitzerten auf seinem schwarzen Haar und dem dunkelblauen Mantel.
»Dieses Zeug kann ich nicht trinken«, beschwerte ich mich, in den Becher zwischen meinen Händen spähend. »Das ist kein richtiger Kaffee, Tom.«
»Wie du willst.« Er nahm einen großen Schluck aus seinem eigenen Becher, bevor er berichtete. »Du warst tatsächlich hier heute morgen. Die Dame aus dem Laden hat dich gesehen. Oder jedenfalls sah sie eine ›zierliche kleine Frau mit kurzen, dunklen Locken‹, die gegen halb acht auf dem Platz stand. Zuerst dachte sie, daß du in ihr Schaufenster gucken würdest, aber als sie hinausging, um dich anzusprechen, warst du schon fort. Sie hat dich noch ein paarmal gesehen, wie du um den Platz gelaufen bist. Dachte sich, daß du wohl auf jemanden wartetest, der dich abholen sollte.«
»Und wie hast du sie dazu gebracht, dir das alles zu erzählen?« fragte ich ihn höflich. »Oder sollte ich das besser nicht wissen?«
»Da ist nichts dabei«, sagte Tom achselzuckend. »Ich habe ihr gesagt, ich sei ein Arzt aus der psychiatrischen Klinik und vermisse eine unserer Patientinnen. Sie war entsprechend verständnisvoll.«
»Tom!« Ich war schockiert. »Das ist nicht dein Ernst! Das sind kleine Gemeinden hier – so etwas spricht sich doch schnell herum. Ich werde keinen Fuß mehr vor die Tür setzen können!«
»Du machst
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