Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
nicht, ob ich dieses Kompliment tatsächlich meinem Aussehen zu verdanken habe oder den drei Goldbarren. Ich denke, dass letztere den Ausschlag gaben für seine charmante Großzügigkeit an diesem Abend.
Natürlich habe ich auch am Tag der Beisetzung für die zahlreichen Gäste und Geschäftsfreunde ein Fünf-Gänge-Menü gekocht. Juliette würde bis an ihr Lebensende keinen Grund haben, sich über mich zu beschweren (Barthélémy sowieso nicht). Irgendwie war mir die Schwägerin in diesen Tagen sogar ein wenig ans Herz gewachsen. Die Not der letzten Jahre hatte offensichtlich ihren Charakter zum Positiven verändert. Sie gebärdete sich längst nicht mehr wie die verwöhnte Tochter eines erfolgreichen Geschäftsmannes aus Lyon, wie sie das früher getan hatte. Was das Geld anging, über das Barthélémy plötzlich verfügte, so hatte er Juliette erzählt, dass endlich, endlich ein säumiger Gläubiger all seine Schulden bezahlt habe. „Marie hat mir Glück gebracht“, sagte er geheimnisvoll lächelnd, „gerade als sie nach Lyon kam, hat sich – dem Herrn sei Dank – alles zum Guten gewendet.“
Einige Tage vor meiner Heimreise ging ich mit Olive zum Einkaufen. Ich war stolz auf meine schöne Nichte, die überall bewundernde Blicke erntete. Erstmals bereute ich es, nicht selbst eine Tochter wie sie zu haben. Wir fanden eine tüchtige Schneiderin, die ihr ein paar Kleider anmaß, deren Schnitte wir aus den neuesten Pariser Journalen kopierten, suchten anschließend in einem ziemlich luxuriösen Warenhaus Weißwäsche und all die Dinge, die sie für ihre Aussteuer dringend benötigte, aus. Juliette war sehr kleinlaut, als drei Tage darauf die voluminösen Pakete angeliefert wurden.
„Es gibt für mich nur eine einzige Nichte auf dieser Welt, und die ist mir sehr ans Herz gewachsen“, erklärte ich bündig meine Großzügigkeit.
Olive strahlte mich an und gab mir einen dicken Kuss auf die Wange. „Der ist für dich, liebe Tante“, sagte sie, und dann bekam ich zu aller Überraschung noch einen zweiten auf die andere Seite: „Und der ist für den netten Herrn Pfarrer, bei dem du wohnst! Gibst du ihm den Kuss weiter?“
Es geschieht selten, aber Olive hatte es fertiggebracht, dass ich puterrot wurde in diesem Augenblick.
39
„Glückliche Liebe gibt es nicht,
und doch ist`s unser beider Liebe ...“
Louis Aragon
Beinahe hätte mich Bérenger beim Schreiben erwischt. Gerade noch konnte ich das Heft verstecken und ein Buch zur Hand nehmen, als er an meine Schlafzimmertür klopfte.
„Weshalb brennt bei dir immer so lange Licht in der Nacht, Marie?“
„Ich kann nicht gut schlafen, Bérenger, und so lese ich eben“, sagte ich, als er sich müde auf mein Bett setzte und seine Stiefel auszog. Bérenger tat mir leid. Abgehärmt sah er aus, grau, fast weiß geworden an den Schläfen, die Augen ein wenig blutunterlaufen. Aber er war endlich einmal wieder zu mir gekommen.
„Ich habe soeben eine überaus schwierige Arbeit zu Ende gebracht, Marie!“
„Wie schön für dich!“ sagte ich. „Sie wird doch hoffentlich Früchte tragen, deine Arbeit?“
„Man wird sehen, man wird sehen ... ich will es im Augenblick nicht vertiefen.“
Ich gab ihm Olives Kuss. Er lachte eitel und legte sich dann vollends auf das Bett. Ich setzte mich neben ihn und fing vorsichtig an, ihn zu streicheln. Er ließ mich gewähren. Ich kraulte seine Brusthaare, sog seinen männlichen Geruch und seine zärtlichen Blicke gleichermaßen in mich auf, während er mich wortlos ansah, mit einem kleinen, gar nicht unzufriedenen Lächeln um die Mundwinkel. Dann liebten wir uns, ganz zärtlich, voller Respekt – wie zwei, die sich soeben erst entdeckt haben. Ich war kurz vor dem Einschlafen, als sich Bérenger plötzlich auf seine Ellenbogen stützte.
„Marie, ich war heute morgen in Axat und habe alles dir vermacht.“
Ich fuhr hoch. „Was hast du eben gesagt?“
„dass ich dir alles vermacht habe. Ich habe mein Testament aufgesetzt und es von Boudets Bruder, dem Notar Edmond Boudet aus Axat, bestätigen lassen.“
„Aber warum? Soll ich mich jetzt darüber freuen oder muss ich mir Sorgen machen um dich, Bérenger?“
Bérenger legte sich wieder auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ich hatte noch nie bemerkt, dass er lange glatte Haare hatte in den Achselhöhlen.
„Jedes Ding hat seine Zeit, Marie! So jung jedoch, wie ich heute bei dir im Bett war, bin ich in meinem Alter nicht mehr jeden Tag. dass du
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