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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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wie noch vor Jahren. Aus riesigen Schloten dampfte und qualmte es mächtig in den ohnehin schon grauen Himmel. Vor den Toren standen Schlangen junger Männer, die auf Arbeit hofften. Ob sich die Bauernburschen darunter befanden? Im Geiste wünschte ich ihnen viel Glück für ihr tapferes Vorhaben, ihr Zuhause aufzugeben und einer ungewissen Zukunft in der Stadt ins Auge zu sehen. Victor Hugo hat einmal geschrieben: Die Zukunft hat viele Namen. Für die Schwachen ist sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie das Unbekannte. Für die Tapferen ist sie die Chance.
    Wir fuhren am Rhône-Ufer entlang, kamen am Glockenturm vor dem Place Bellecourt vorbei, wo zwei Straßenfeger Unrat zusammenschoben, dann zum Großen Theater. Dort warb man mit einer grellfarbigen Lithographie für das Lustspiel „La cocarde tricolore“, der Brüder Cogniard. Eine elegante Dame war darauf zu sehen, in einer ärmellosen Robe und langen schwarzen Handschuhen. Ich dachte an Emmas Auftritt bei uns zu Hause. Ich malte mir ihr Leben aus, das voller Ausschweifungen sein musste. Seit ich sie kennengelernt hatte, verschlang ich geradezu jede Zeitung, die jemand nach Rennes mitbrachte. War irgendwo von einer Festlichkeit, von Bällen, Theater- oder Varietévorstellungen die Rede, suchte ich nach ihrem Namen.
    Lange war ich nicht mehr in Lyon gewesen, und es hatte sich viel verändert. Dennoch erkannte ich sofort die langgestreckte Fassade und die drei Kuppeln des ehrwürdigen „Hotel Dieu“ wieder, des Krankenhauses, in dem schon Rabelais als Arzt gearbeitet hatte, wie ich von Monsieur Caprière wusste.
    Als wir in die Innenstadt kamen, blinkten mir die herrlichsten Zunftschilder entgegen: Schuhmacher, Schneider, Goldschmiede, Putzmacher ... ach ja, die Trussaut, das Biest ... Wie lange das schon her war!
    In Pelerinen eingemummte Leute eilten geschäftig durch die Straßen, ohne einen Blick auf die Auslagen zu werfen. Sie hatten Mühe, sich gegen den Wind und den Regen zu stemmen. Immer wieder geschah es, dass die zierlichen Regenschirme der Damen sich unverhofft mit einem kleinen Plopp umstülpten. Die Geschichte vom „Fliegenden Robert“ kam mir in den Sinn, die uns der Schäfer Jacques vor langer Zeit erzählt hatte. Wer weiß, woher er sie hatte. Sein Vorrat an Geschichten war unerschöpflich gewesen. Der kleine Robert war bei einem heftigen Sturm mit dem Regenschirm einfach auf und davon gesegelt. Schon damals war mir das wunderbar erschienen, so mir nichts, dir nichts davonfliegen zu können.
    Im Augenblick war ich allerdings froh, im Trockenen zu sitzen, wenngleich meine Knöpfstiefelchen vom Regen durchweicht waren.

    Ich ließ mich direkt an der Buchhandlung absetzen, bedachte den freundlichen Kutscher mit einem großzügigen Trinkgeld und wollte gerade den Laden betreten, als Barthélémy herauskam.
    „Du hier, Marie?“ fragte er verdutzt, als er mich sah,
    „Ja, ich hier!“ gab ich schnippisch zur Antwort. „Ist meine Depesche nicht angekommen?“
    Erst jetzt bemerkte ich, dass er einen schwarzen Anzug trug, und er, dass ich ihn im gleichen Augenblick gesehen hatte.
    „Der Schwiegervater ist gestern gestorben, alle sind in höchster Aufregung. Da wird man deine Nachricht übersehen haben, Marie.“ Barthélémy umarmte mich herzlich. „Lass uns gleich hinübergehen zu Juliette und der Schwiegermutter, ich will nur noch den Laden zuschließen.“
    „Nein“, sagte ich bestimmt. „Ich bin zwar total durchgefroren, aber wir wollen dennoch zuerst in die Buchhandlung gehen und sie hinter uns zuschließen, die anderen können wohl eine halbe Stunde auf dich warten. Wir beide haben miteinander zu reden, und ich möchte nicht, dass Juliette bei dieser Unterredung anwesend ist – oder gar deine Schwiegermutter.“
    „Ja, gut – du hast wie immer recht. Ich hoffe, du bist mir nicht böse wegen meines offenen Briefes, Marie!“
    „Bin ich nicht! Du bist mein einziger Bruder, Barthélémy“, sagte ich und setzte mich auf den wackligen Stuhl, der hinter der Kasse stand. Auch im Laden war es kalt. Hatten sie nicht einmal mehr Geld für Kohlen? Ich zog mein pelzbesetztes Cape enger um mich. Barthélémy nahm auf einer kleinen, wurmstichigen Trittleiter Platz.
    Dann öffnete ich meine Tasche und hob die drei Goldbarren heraus, die ich in meinen warmen Unterrock gewickelt hatte, den ich besser zur Fahrt angezogen hätte. Ich legte sie vor ihm auf die Theke.
    „Ich hoffe, das genügt, um deine Schulden zu bezahlen und einige

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