Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
mir! Ich muss es wissen.“
„Mit keiner Menschenseele“, antwortete ich leise. „Und ich will auch mit dir nicht darüber reden. Punktum. Jetzt lass mich gehen!“
Er sah mich einige Sekunden nachdenklich an. Dann schloss er auf.
Als ich wieder in der Villa war und mit zittrigen Händen mehr schlecht als recht meinen Haushaltspflichten nachkam, fühlte ich mich hin- und hergerissen. Ich hatte nichts erreicht, war aber dennoch fast euphorisch, weil ich ihm seine Untreue auf eine Art heimgezahlt hatte, die ihn schwer getroffen hatte. Doch was würde jetzt geschehen? Ich wusste, dass ich niemals im Leben Aufnahme finden würde in dieser seltsamen Elitetruppe – die Eingeweihten. Damals, als ich im Sakristeischrank lauschte, hatte ich Bérenger sagen hören: „Wegen der Marie müsst ihr euch nicht sorgen, Freunde! Sie ist harmlos und mir überaus treu ergeben. Ich habe sie im Griff; beim Heiligen Antonius von Padua und beim Heiligen Roch schwöre ich euch, dass sie nie etwas davon erfahren wird!“
„Hört, hört, er hat sie im Griff ...“, hatte Boudet daraufhin anzüglich gebrummt.
Gélis hatte ein wenig nervös zu kichern angefangen, was Bérenger veranlasste, ihn zurechtzuweisen: „Wie kannst du in so einem Augenblick lachen, an einem Tag, an dem wir drei Geschichte geschrieben haben!“ Gélis hatte sich zu Unrecht angegriffen gefühlt – schließlich hatte ja nicht er, sondern Boudet angefangen. Ein heftiger Schlagabtausch war die Folge, in dessen Verlauf sich Boudet wieder hinter Bérenger stellte. Am Ende hatte Gélis beiden Kollegen mit gehässiger Stimme vorgehalten, dass es mit der Geschichtsschreibung und dem Berühmtwerden so eine Sache sei, wenn die Wahrheit nur für eine Handvoll Leute da wäre wie im vorliegenden Fall. Der Kollege Boudet müsse das als Historiker und Autor eines närrischen Buches, das kein Mensch jemals würde lesen wollen, doch am besten wissen. Boudet hatte erwidert, sein Buch sei alles andere als verrückt, Gélis bloß zu dumm, um es zu verstehen, und Bérenger hatte die Streithähne nur mühsam wieder beruhigen können.
Nun wusste die harmlose Marie alles. Musste Bérenger sich jetzt nicht schuldig fühlen? Doch wem gegenüber sollte er sich rechtfertigen müssen? Beide Mitverschwörer waren tot. Hoffet und die anderen Freunde hatten ganz sicher niemals einen Gedanken an mich verschwendet. Die einzige Person, die noch lebte und von meiner Beziehung zu Bérenger Kenntnis hatte, war Emma. Bérenger würde sich hüten, ihr vom heutigen Tag zu erzählen!
Mein Besuch im Turm zeigte dennoch Wirkung, und zwar schneller, als ich erhofft hatte.
Emma fuhr noch am Ende der Woche mit dem Zug nach Barcelona, um von dort aus in See zu stechen. Ob sie nach Florida fahren wollte, in ihre weiße Villa, oder anderswohin, habe ich nicht erfahren.
Ein seltsamer Frieden kehrte ein, in die Villa, den Turm, die Gärten – trotz des grausamen Krieges, der noch immer durch das Land tobte. Bei der Schlacht an der Marne waren fünf tapfere Männer aus Rennes durch die Bajonette der Deutschen zu Tode gekommen. Die Trauer war groß im Dorf, und jetzt auch der Hass auf die Feinde. Ein halbes Jahr nach den ersten Todesnachrichten traf der Zorn der Dörfler auch die hübsche Marguerite Salière, deren schwarz-funkelnde Augen immer so neugierig und voller Erwartung in die Welt geschaut hatten. Ihr Mann Philippe, einer der Salière-Brüder, hatte sich umgebracht. Unbedachterweise hatte sie ihm ins Feldlazarett geschrieben, dass sie eines Missgeschickes wegen ein Kind von einem anderen bekomme und aus Rennes-le-Château wegziehen werde, zu ihrem Liebhaber. Sie sei zu einsam gewesen hier oben, habe es ohne ihn nicht ausgehalten. Nach dem Lesen des unseligen Briefes hatte er einen Strick genommen und sich in der Latrine aufgehängt. Zuvor schrieb er noch einige Zeilen an seine Mutter Seline, in dem er sein Vorhaben mit wenigen Worten ankündigte.
Nach Emmas Abreise verhielten wir uns weitgehend so, als wäre nichts geschehen. Bérenger war nett und zuvorkommend zu mir. Dennoch wurde ich den Eindruck nicht los, dass er mich beobachtete. Er wartete.
Ich jedoch hütete mich, ihn ein zweites Mal auf das Geheimnis von Rennes-le-Château anzusprechen. So redeten wir ausschließlich über Alltägliches, über die Leute im Tal, den Krieg, die vielen Gefallenen, über Marguerite und die noch immer gramgebeugte Seline.
Über Emma redeten wir nicht.
Im Gegensatz zu vielen Menschen in den Städten litten
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