Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
besprochen wurde, kann nicht abgehört werden. Das habe ich definitiv überprüft. Es bleiben noch meine Aufzeichnungen. Einmal hatte ich den Verdacht, dass sie mein schwarzes Buch in Händen gehabt haben könnte. Doch ich war mir nicht sicher. Du fragst, weshalb ich sie nicht in die Zange nehme? Nun, Du kennst ihren Dickschädel nicht. M. lässt sich nicht einschüchtern, auch nicht von mir. Dass Du, liebe Emm A. Vecal , offensichtlich zu dem Kreis der Eingeweihten gehörst und sie nicht, ist ihr unerträglich, ebenso meine besondere Beziehung zu Dir. Nun macht M., was ihre seelische Stabilität betrifft, zwar nach außen hin einen gefestigten Eindruck. Dieser Eindruck jedoch täuscht alle, die sie nicht so gut kennen wie ich. Im Grunde ihres Herzens ist sie sehr anlehnungsbedürftig, sehr einsam und hilflos.
Du siehst, mein Entschluss, sie und Rennes heimlich zu verlassen, fällt mir nicht leicht. Nein, ganz und gar nicht. All die Jahre habe ich es vehement abgelehnt, die Pfarrstelle zu wechseln. Der Grund für meine Weigerung lag an der Treue zu demjenigen, den ich hier gesucht und gefunden habe. Nachdem aber nun die höchste Stelle darüber Bescheid weiß, fühle ich mich nicht mehr an meinen Schwur gebunden, den ich seinerzeit im Beisein von B. und G. geleistet habe. Ich lebe ja auch nicht ewig. Wer der zukünftige Hüter sein soll, muss Rom ganz alleine entscheiden. Nachdem man sich jedoch zum bedingungslosen Stillhalten für alle Zeiten entschlossen hat (ich habe übrigens niemals etwas anderes erwartet, B. auch nicht – G. allerdings schon, und die Strafe für sein eiliges Vorpreschen ist bekannt!), wird es nach mir vermutlich keinen Hüter mehr geben. So mag endlich Ruhe einkehren in die Affäre. M. wird, sollte sie wirklich darüber informiert sein, nicht über die Sache reden, und wenn sie es dennoch tut, so wird ihr niemand glauben. Alle werden sagen, sie sei wunderlich geworden nach meiner Abreise.
Ach, sie tut mir leid, ehrlich. Ich verlasse sie wirklich nur ungern, die treue Seele, die immer für mich da war. Und ein wenig habe ich Angst, dass sie eine Dummheit machen könnte. Das würde ich nicht überleben, Emma. Ich denke dabei an Simone Leclerque, deretwegen ich mich seinerzeit fast mit dem HERRN zerstritten hätte.
Doch wir alle haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Ich hoffe inständig, Du achtest mich nicht gering, dass mir der Mut fehlt, M. die Wahrheit über meine Abreise zu sagen.
Sei herzlich gegrüßt und Gott befohlen
Dein Bérenger
P. S. Übrigens, ich gedenke am 17. 1. Rennes zu verlassen (ein beziehungsvolles Datum, wenn Du Dich an den Todestag der Freifrau erinnerst, nicht wahr?).
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„Ich spür, dass du mir fern bist,
und dass deine Augen, das Himmelsblau,
dein Schattenschmuck, die Morgensterne verlöschen werden ...“
André Breton , D`or vert
Sie stiehlt mir mein Leben, dachte ich fassungslos und immer wieder. Emma stiehlt mir mein Leben ...
„Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, Marie!“ Wie oft hatte mein Vater diesen Satz in den Mund genommen. Ich dachte an die verrückte Jeanette aus Quillan. Vor fünf Jahren – oder waren es schon sechs - hatte sie ein langes Fleischermesser hervorgeholt, wie einst mein Vater. Durch den halben Ort hat sie ihren untreuen Gatten verfolgt, und niemand hat sie aufgehalten, was Bérenger seinerzeit einfach nicht verstehen konnte. „Da hätte jemand einschreiten müssen!“ hatte er vorwurfsvoll zu Boudet gesagt. „Keiner hat mehr Courage! Keiner weiß um seine Christenpflicht!“
Schreiend vor Angst war ihr Mann durch die Straßen gelaufen und seine Frau mit wildem Blick, barfuß und mit aufgelöster schwarzer Mähne hinterher. Sie musste tatsächlich verrückt geworden sein geworden sein, nachdem er ihr nach einem Liebesakt eröffnet hatte, dass er zum letzten Mal bei ihr gelegen sei. Es gäbe da eine andere, jüngere, in die er sich mit Haut und Haaren verliebt hätte. Da hatte Jeanette angefangen, so schrecklich zu schreien, dass das ganze Haus aufgewacht war. Erst hatte ihr Mann versucht, sie zu beruhigen, aber sie hatte sich rasch aus seinen Armen befreit und war in die Küche gestürzt. Als ihr Mann das Messer in ihrer Hand sah und ihren entschlossenen Blick, ergriff ihn das blanke Entsetzen. Panisch rannte er ohne Hemd und Hosen die Treppe hinunter, an den inzwischen offenstehenden Türen und Fenstern der Nachbarn vorbei. Die wilde Jeanette raste
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