Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
erkannte ich die argentinischen Umschläge mit einem einzigen Blick in Antoines Postsack allein schon deshalb, weil sie beträchtlich größer waren, als die üblichen Schreiben und Rechnungen, die Bérenger erhielt. Besorgte Félix die Post, weil Antoine anderweitig beschäftigt oder zu krank war, so konnte ich sie mir auch näher ansehen. Als Absender zeichnete stets eine andere Handelsfirma aus Buenos Ayres. Einmal drehte es sich um einen Weingroßhandel, ein anderes Mal um Antiquitäten, dann um Möbel, um einen Zigarrenversand und so fort.
Die Schrift jedoch, die stammte jedes Mal von Emmas Hand.
Lange, zu lange sah ich dem Treiben zu. Dann, als meine Magenschmerzen wieder heftiger wurden und mein Seelenfinger beinahe unablässig zog und pochte, wurde es mir zu bunt. Als – trotz der Kriegswirren – innerhalb von fünf Wochen drei Briefe von ihr eingetroffen waren, kündigte ich Antoine am darauffolgenden Freitag – dem Tag, an dem Bérenger seine ausgehende Post dem Alten anvertraute – an, ihm meinerseits einen wichtigen Brief an meinen Bruder mitgeben zu wollen.
Müde kam der Kirchendiener in die Küche geschlurft. „Marie, hast du deinen Brief schon fertig?“ fragte er ungeduldig, den Postsack auf der Schulter.
„Nein“, sagte ich und seufzte. „Die Suppe ist übergekocht, und der ganze Herd war verschmiert. Es dauert noch zehn Minuten. Hast du den Gig schon angespannt?“
Er nickte. „Wohl, wohl, der neue Monsignore scharrt schon ungeduldig mit den Hufen.“ Bérengers alter Rotfuchs war vor einiger Zeit gestorben.
„Tu mir noch einen kleinen Gefallen, lieber Freund“, sagte ich. „Sieh nach Mela, er hustet heute morgen wieder so schrecklich! Ich bin ziemlich beunruhigt. Den Postsack lass derweilen hier, den brauchst du nicht herumzuschleppen.“
Er brummte unwillig und verzog das faltige Gesicht zu einer Grimasse, die Melas Fratze ziemlich ähnlich kam. „Der Affe hustet doch immer, was soll er auch anderes tun, dieser grässliche Teufel! Ihm ist langweilig. Nichts weiter. Vielleicht braucht er ein Weib.“
Ich bemühte mich, laut und herzhaft zu lachen, und klopfte Antoine auf die Schulter.
„Da magst du recht haben!“
Kichernd schlurfte der Alte hinaus, um nach dem Affen zu sehen.
Ich schnappte mir den Postsack, wühlte – und fand tatsächlich nach wenigen Sekunden das Corpus delicti: einen ebenfalls großen Umschlag, adressiert an eine Firma namens A.Vecal in Buenos Ayres, Argentinien, Absender B. S., Rennes-le-Château.
Nun gut, dachte ich bei mir, ist der Inhalt harmlos, so werde ich den Brief wieder zukleben und ihn nächste Woche selbst zur Post bringen. Argentinien ist weit. Da konnte ein Brief länger dauern – in Kriegszeiten allemal. Ich hörte Antoine zurückkommen. Rasch steckte ich den Umschlag hinter mein Gewürzbord und händigte dem Alten meinen längst vorbereiteten Brief an Barthélémy aus.
„Du und dein Viehzeug“, nörgelte er, „ich weiß gar nicht, was du immer willst. Dem Affen geht es gut, der hat nichts.“ Mit vorwurfsvoller Miene nahm er den Postsack wieder auf und schlurfte hinaus.
Erst nach Einbruch der Dunkelheit getraute ich mich, den Brief zu öffnen. Ich hielt den Umschlag über den dampfenden Wasserkessel, bis der Leim nachgab. Vorsichtig öffnete ich die Lasche.
„Liebe Emm A !“ las ich. ´ A . Vecal` – ( Ca l vè ) – wie habe ich gelacht, als ich hinter Deine neueste List kam, mir anonym zu schreiben. Die Buchstaben Deines Namens zu trennen und danach zu vertauschen – das ist fast so brillant wie die Verschlüsselungstechnik Bigous! Und das will etwas heißen. Hoffet wäre begeistert. “
Brillant? Emmas kindische Art zu verschlüsseln hatte ich längst durchschaut. Doch mit dieser übertriebenen Lobhudelei ging es noch eine Weile fort. Dann jedoch wurde es richtig interessant.
„M. ist noch immer überaus eifersüchtig. Ich verbrenne Deine Briefe meist sofort, was mir im Herzen leid tut. (viele Briefe aber kenne ich auswendig.) Seit dieser Sache, die sie mir in ihrer Wut an den Kopf geworfen hat, zermartere ich mir das Hirn und komme doch nicht darauf, wie sie dahintergekommen ist. Langsam fange ich an, an unserer Verschlüsselung zu zweifeln. M. ist klug, und sie kombiniert geschickt. Auf die falsche Reihung des Kreuzweges ist sie mir seinerzeit auch gekommen. In all den Jahren an meiner Seite hat sie wohl meine Art zu denken übernommen. Das ist die einzige Erklärung, denn der Raum, in dem die Angelegenheit damals
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