Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
du nicht zu früh aufgestanden. Du solltest dich noch ein wenig schonen oder vielleicht doch einen Spezialisten aufsuchen. Henriette kocht übrigens nur halb so gut wie du.“
„Ach Bérenger, du weißt ja, Unkraut vergeht nicht.“
Mein Versuch zu scherzen war nicht besonders erfolgreich, denn er insistierte erneut:
„Hast du noch Schmerzen, Marie? Dann musst du wirklich den Arzt kommen lassen! Mit Frauengeschichten ist nicht zu spaßen. Weiß Gott nicht. Denk an Madame Verifièr, die im letzten Sommer so rasch gestorben ist!“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nein! Mir geht es bereits besser. Außerdem sind noch so viele Vorbereitungen für das Weihnachtsfest zu treffen. Kommen irgendwelche Gäste?“
„Nein. Ich denke, in Zeiten, in denen das halbe Dorf sich an der Front befindet, ist es nicht opportun, großartig zu feiern.“
Am ersten Advent lag eisige Schneeluft über dem Berg. Frischer Schnee war auch bereits am Tag zuvor gefallen. Er leuchtete im Schein der Außenlaterne wie Silber und knirschte unter den Füßen, als ich am Nachmittag die Villa verließ, um dem taubstummen Marais Kamille, Zinnkraut und auch ein wenig Gebäck vorbeizubringen. Der alte Knecht des Bauern Féral lag seit Wochen mit einer hartnäckigen Wundrose im Bett. Ich bückte mich, um eine Handvoll Schnee zusammenzuballen und daran zu lecken. Doch meine gewohnte kindliche Freude darüber – und auch über das bevorstehende Fest, mit seinen heimeligen Bräuchen – wollte in diesem Jahr nicht aufkommen. Selbst wenn ich mich langsam wieder in der Gewalt hatte, wenn meine Reaktionen, mein Verhalten inzwischen fast so waren wie früher, so fühlte ich doch in mir eine tiefe Leere. Das Wissen, dass die Wochen ins Land gehen würden und das bittere Ende nahte, machte mich gefühllos. Oft, zu oft dachte ich in diesen Tagen an Bérengers Bemerkung über Simone, daran, wie sie von ihrem über alles geliebten Mann wegen einer anderen verlassen wurde und wie sie der gleichen Kälte, die sich in sie geschlichen hatte, davongelaufen war.
Und was würde man im Dorf über seinen Weggang denken? Würde man nicht von mir Rechenschaft fordern? Etliche würden mir die Schuld geben, etliche würden hämisch grinsen. „Nun ja, die Madonna – jetzt hat sie ihre verdiente Strafe für ihren Stolz. Er hat sie verlassen.“
Seltsam, dass mein Stolz mich so plagte und ich mich schon zu diesem Zeitpunkt abgrundtief schämte, von ihm verlassen zu werden. Warum nur fühlte ich mich so schwach, wo ich zeit meines Lebens daran gearbeitet habe, eine starke Frau zu werden? Unablässig tastete ich alle Möglichkeiten der Zukunft in meinem Herzen ab und stellte mir am Ende doch stets nur die eine Frage: Wer wird mir zukünftig zur Seite stehen, wer „Marinette“ flüstern des Nachts?
Als ich bei Dunkelheit vom Hof der Féral zurückkam – die Bäuerin hatte mich so lange aufgehalten –, saß Bérenger gemütlich im Salon, mit dem Rücken zum Kamin. Auf einem Beistelltischchen standen die Kaffeekanne, eine Tasse und ein kleiner Teller mit Haselnussschnitten.
„Trinkst du eine Tasse Kaffee mit mir“, fragte er mich.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe gerade bei Madame Féral Kaffee getrunken.“
„Wie geht es dem alten Knecht?“
„Nicht besonders, wenn mich mein Gefühl nicht trügt, wird er es nicht mehr lange machen.“
„Vielleicht sollte ich heute Abend selbst noch einmal nach ihm sehen.“
Ich nickte. Dann holte ich mir die Einkaufsliste aus der Küche, setzte mich an den großen ovalen Esstisch und ergänzte die Lebensmittel, die bis zum Fest gekauft werden mussten. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich Bérenger. Ganz ruhig und gelassen saß er vor dem Feuer, ein Bein über das andere geschlagen, mit dem rechten Fuß ein wenig wippend, ein Buch in den Händen. Er las, trank Kaffee, aß Plätzchen. Für einige Augenblicke hielt ich mit dem Schreiben inne und sah ihn direkt an. Ja, ich sog seinen Anblick geradezu in mich hinein, tastete mit den Augen seine noch immer prachtvolle Gestalt ab, so als ob ich befürchtete, er könnte bereits morgen aus Rennes fliehen.
Wie konnte ich es nur anstellen, ihn zu halten? Wenn mir nur etwas einfiele, den 17. Januar verstreichen zu lassen!
Ich seufzte tief und stand auf, um in der Küche die von Henriette tags zuvor herausgeräumten und blankgeputzten Gläser mit dem Eingekochten wieder der Größe und dem Inhalt nach in den Vorratsschrank zurückzustellen. Die Sache ging mir nicht aus dem
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