Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
hinterher. Sie wenigstens hatte ein dünnes seidenes Hemd an. Weiter jedoch nichts. Ihr dicker Busen schwabbelte beim Laufen auf und ab, und es gab doch tatsächlich Leute in Quillan, die nicht nur das ungewöhnliche, nächtliche Schauspiel im Mondschein erschrocken verfolgten, sondern auch etliche unvernünftige Mannsbilder, die lachten und grölten und sie noch anspornten in ihrem Wahnsinn.
„Lass ihn laufen, Jeanette, deinen Alten!“ schrien sie. „Er ist nur un mauvais coucheur – einer, der im Bett nichts taugt! Willst du mal ´meinen` sehen? Ha, ha, ha!“
Doch Jeanette sah und hörte nichts, was um sie geschah. Sie ließ ihn nicht laufen, ihren Mann, nein. Bald schon hatte sie ihn eingeholt, denn sie hatte lange, kräftige Beine und er einen dicken Bauch und kurzen Atem. Wie er mit seinem Aussehen an eine andere, eine jüngere geraten war, war allen Leuten ein Rätsel. Und auch, wer die andere war. Sie hatte sich nie gemeldet. Seine vor Eifersucht rasende Frau erstach den Ungetreuen vor den Augen zahlreicher Schaulustiger. Das Blut floss die Rinne hinab.
Widerstandslos ließ sich Jeanette gefangen nehmen. Lebenslänglich. Toulouse.
Mord? Nein, nein, etwas derart Endgültiges würde ich Bérenger niemals antun wollen! Kein Verlangen auch, den Rest meines Lebens im Gefängnis von Toulouse zu verfaulen.
Irgendwelche wie auch immer geartete Maßnahmen zu ergreifen, war ich sowieso nicht in der Lage. (Damit hatte ich nicht gerechnet, darauf war ich nicht vorbereitet gewesen.)
Ich zitterte haltlos, und die Tränen schossen mir nur so aus den Augen. Er fährt zu ihr, zu ihr, zu ihr! Aber weshalb? Emma war wesentlich älter als ich, beinahe so alt wie er selbst. Ein altes, ordinäres Weib, dachte ich in meiner Wut. Was glaubte er, bei ihr zu finden? Außerdem: War er nicht Priester? Sein Zölibat? Er konnte doch nicht wegen einer x-beliebigen Frau ...?
Eine höhnische Stimme lachte in meinem Inneren: Auch mir dir hat er sein Zölibat gebrochen, Marie, nur weggehen mit dir – was du dir so sehr gewünscht hättest -, das wollte er nie!
Heulend und schluchzend versteckte ich den elenden Brief mitsamt Umschlag unter dem losen Dielenbrett in meinem Schlafzimmer, dort wo ich meine Aufzeichnungen aufbewahre. Emma würde ihn nicht bekommen, niemals. Nein!
Als ich mich ins Bett legte, hegte ich die schwache Hoffnung, schnell einschlafen zu können, um dann beim Aufwachen erleichtert festzustellen, dass ich alles nur geträumt hatte. Doch ich fand nicht einmal für eine Stunde Schlaf. Ich wälzte mich hin und her, stand im Morgengrauen wieder auf und holte den Brief hervor. Mir war schwindlig und übel, als ich ihn noch einmal las. Aber ach, all diese elenden Buchstaben standen noch an gleicher Stelle wie am Abend zuvor. Kein Engel war mir in der Nacht gnädig gewesen. Kein Gott.
Was sollte ich tun?
Ich wusste: Bevor ich wieder mit meinem Verstand rechnen konnte, der mir abhanden gekommen war, durfte ich mir meinen Seelenzustand keinesfalls anmerken lassen. Doch die Meisterin des geschickten Verbergens war offensichtlich an ihre Grenzen gestoßen. So meldete ich mich schlicht und einfach krank. Ich ging zu Henriette und bat sie, dem Abbé zu sagen, dass ich wegen einer Frauengeschichte einige Zeit das Bett hüten müsste.
„Um Gottes willen, Marie, wie schaust du denn aus?“
Henriette, die seit dem Tod ihres Jungen selbst ganz verhärmt ist und viel von ihrer ursprünglichen Tapferkeit eingebüßt hat, hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als sie mich sah.
„Ach, es ist nicht so schlimm. Ich habe nur kein Auge zugetan die ganze Nacht. Kannst du es möglich machen, in den nächsten Tagen in der Villa zu schlafen, um all meine Pflichten zu übernehmen?“
„Natürlich, Marie, aber du musst den Arzt kommen lassen, wenn es nicht besser wird!“
„Das werde ich tun, zuerst jedoch will ich es mit Frauenmantel, Arnika und Schafgarbe versuchen. Das hat meiner Großmutter auch immer geholfen.“
Ich hatte ich ein paar Tage Zeit gewonnen, mich zu fassen. Denn wenn sie in der Villa schlief, konnte Bérenger nicht einfach in mein Schlafzimmer spazieren. Auch wenn jedermann von unserem Verhältnis Kenntnis hatte, musste natürlich der Schein gewahrt bleiben.
Als ich ihm nach einer Woche wieder unter die Augen trat, bemerkte auch er meine Blässe und den stumpfen Ausdruck meiner Augen.
„Nun, Marie, du bist wieder auf den Beinen, wie ich sehe?“ sagte er voller Anteilnahme. „Hoffentlich bist
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